Union nach Berliner Anschlag wieder uneins
21. Dezember 2016Ungewöhnlich klare Worte vom stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Armin Laschet: Er kritisierte den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer für eine Äußerung zum Attentat auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz in scharfen Worten. Es sei nicht die "normale Herangehensweise an Politik", schon vor Ermittlung der Fakten durch die Polizei Schlüsse zu ziehen, sagte er am Abend im Zweiten Deutschen Fernsehen.
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Seehofer hatte nur 14 Stunden nach der Bluttat gesagt: "Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren." Zu diesem Zeitpunkt gab es Zweifel, ob ein als Verdächtiger in Berlin festgenommene Flüchtling wirklich der Täter war. Wenige Stunden später kam der Pakistaner frei. Der Angreifer, der den todbringenden Lastwagen steuerte, wurde bislang nicht gefasst.
Ermittlungen abwarten
Laschet argumentierte, Seehofers Forderung ergebe keinen Sinn, solange man nicht eindeutig wisse, wer der Täter sei. "Was ist denn, wenn der Täter aus dem Inland oder aus einem Nachbarland kommt, wie bei den Anschlägen von Nizza oder Brüssel?", fragte Laschet. Nach Konsequenzen rufen könne man "erst, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen". Laschet plädierte dafür zu warten, "bis die Polizei ihre Arbeit gemacht hat". Nach Konsequenzen rufen könne man "erst, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen", sagte der CDU-Vize in Richtung der Schwesterpartei.
Auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche nahe des Kurfürstendamms waren am Montag elf Menschen getötet und 45 weitere zum Teil schwer verletzt worden, als ein Lkw in die Menge raste. Außerdem wurde ein Pole tot in dem Lastwagen gefunden, vermutlich der ursprüngliche Fahrer. Inzwischen beanspruchte die Terrormiliz "Islamischer Staat" die Tat für sich.
De Maizière warnt
Bundesinnenminister Thomas de Maizière wies die Forderung Seehofers nach Korrekturen an der Flüchtlingspolitik ebenfalls entschieden zurück. "Wir haben keinen Tatverdächtigen, der Flüchtling wäre", sagte der CDU-Politiker. In dieser Lage und am heutigen Tage beteilige er sich nicht an einer Debatte, was der Anschlag für die Flüchtlingspolitik bedeute. "Wir wissen, dass der 'Islamische Staat' Terroristen unter die Flüchtlinge gestreut hat."
Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast rügte den Ministerpräsidenten: "Ich war sehr erstaunt, dass Seehofer auf so eine Forderung gegangen ist, wo alle benommen sind und voller Trauer." Der CSU-Chef habe nicht gewusst und wisse nicht, ob der Anschlag von einem Flüchtling begangen worden sei. Insofern verbiete sich an dieser Stelle Populismus.
Seehofer relativiert
Seehofers Vorstoß brachte ihm umgehend den Vorwurf ein, die CSU wolle aus dem furchtbaren Anschlag politisches Kapital schlagen. Dagegen wehrte er sich entschieden. Die "Süddeutsche Zeitung" zitierte ihn in der Mittwochsausgabe mit dem Satz: "Ich mache das nicht, um billig auf diesem Ticket Punkte zu sammeln."
Seit Monaten streiten CSU und CDU über den künftigen Kurs in der Flüchtlingspolitik. Der wichtigste Streitpunkt ist die Forderung der CSU nach einer Obergrenze. Vor einer Woche hatte Seehofer klargestellt, dass die CSU ohne die Festlegung auf eine Obergrenze bei der Zuwanderung nach der Bundestagswahl 2017 in die Opposition gehen werde. Er verspreche den Wählern, dass sich die CSU nur an einer Regierung beteilige, wenn eine Begrenzung der Aufnahme Teil eines Regierungsprogramms werde, sagte der Ministerpräsident. Die CDU lehnt eine feste Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern ab.
CSU bohrt weiter
Auch andere führende CSU-Politiker nahmen den Berliner Anschlag zum Anlass, die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu kritisieren. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte: "Wir müssen das ganze System nochmals daraufhin überprüfen, wie es sein kann, dass noch immer Leute im Land sind, bei denen nicht geklärt ist, woher sie kommen, wie alt sie sind. Da sind offenkundig Defizite im Verfahren." Und Finanzminister Markus Söder forderte: "Der Staat muss seine Handlungshoheit zurückbekommen und nicht nur die Kontrolle über seine Grenzen, sondern auch über die Straßen und Plätze des Landes."
Unter dem Eindruck des Anschlags bekräftigte die CSU auch ihre Forderung nach erweiterten Einsätzen der Bundeswehr im Inneren. Soldaten könnten mit ihrer speziellen Ausbildung und Ausrüstung die Polizei vielfach unterstützen, sagte Florian Hahn, Außen- und Sicherheitsexperte der Partei, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die SPD, die Opposition und auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sind jedoch der Ansicht, dass die Regeln für die Bundeswehr im Inneren ausreichend seien. Verfassungsrechtlich ist ein vorbeugender Einsatz der Bundeswehr ausgeschlossen und ansonsten nur in außerordentlichen Lagen im Zusammenhang mit Katastrophen oder auch mit einer Verkettung verschiedener Terrorlagen denkbar.
kle/fab (dpa, afp, rtr)