"UNO muss Eigenständigkeit bewahren"
5. Februar 2005Es ist zweifellos richtig, was die Frankfurter Rundschau über die Wahlen vom Wochenende schrieb: Sie waren weder frei, da unter Besatzung und Ausnahmezustand abgehalten, noch fair, da die meisten Kandidaten mehr der Besatzungsmacht und dem Fernsehen verpflichtet waren als den Wählern, noch demokratisch, da diese Kandidaten dann bis zum Schluss geheimgehalten wurden. Und wer auch immer als Sieger hervorgehen wird, er geht in eine gefährliche Zukunft, die von militärischer Besatzung und Terror bestimmt sein wird. Ob dies der richtige Weg zur Demokratie ist, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Aber er ist ein neues Faktum in der Kriegsgeschichte des Iraks, mit dem auf dem Weg zum Frieden gerechnet werden muss.
Wahlen für USA ein Erfolg
Denn so zweifelhaft der Nutzen dieser Wahl für das irakische Volk trotz aller Glücksbekundungen vor den Kameras der Sieger ist, für die USA sind sie ein bedeutender Erfolg für ihre weitere Strategie. Denn sie haben nicht vor, den Irak so bald zu verlassen, da es um mehr als um Demokratie, nämlich um die zweitgrößten Erdölvorkommen in der Welt geht. Das haben sie schon vorher gesagt und die neue Außenministerin Condoleezza Rice hat es nach den Wahlen sofort wiederholt. Sie verfügen jetzt jedoch über eine formal-demokratisch legitimierte Führung im Irak, die sie zum Bleiben auffordern wird und sie damit vom Makel des völkerrechtswidrigen Überfalls befreit. Sie brauchen jetzt keine UNO mehr, die ihre anhaltende Präsenz im Irak und damit dessen Protektoratsstatus weiterhin legitimiert.
Dennoch werden die USA diese Wahl dazu benutzen, den Druck auf die Staaten der EU und die UNO zu erhöhen, um sie in ihre Befriedungsbemühungen einzubeziehen. Und darin liegt für beide Institutionen die Gefahr. Denn es geht jetzt schon nicht mehr um die legitime Forderung nach dem Abzug sämtlicher Besatzungstruppen aus dem Irak, sondern um die Frage, inwiefern ein militärischer Einsatz trotz eindeutigen Verstoßes gegen das Völkerrecht dennoch zur Beseitigung einer Diktatur und zur Herstellung von Demokratie legitim sein könnte. Das zweifelhafte Rechtfertigungsmuster der Bombardierung Jugoslawiens im Frühjahr 1999 macht Schule: zwar wegen Verstoßes gegen das geltende Völkerrecht illegal, aber zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe legitim. Der Vorteil dieser Formel liegt zugleich darin, dass man selbst definieren und durch die Medien verbreiten lassen kann, was man unter "Diktatur" und "humanitärer Katastrophe" im Einzelfall versteht.
Instrumentalisierung der UNO
Die UNO hat bisher den Eindruck vermeiden können, den Überfall der USA und ihrer "Koalition der Willigen" auf den Irak nachträglich zu rechtfertigen, wenn sie auch nicht in der Lage war, seine unzweifelhafte Rechtswidrigkeit zu rügen. Sie kam mit ihren Resolutionen aber gefährlich nahe der Rechtfertigung der Besatzung, um die Aufräumarbeiten und Wiederherstellung der Ordnung und Sicherheit im Lande zu unterstützen. Was jeder Besatzungsmacht jedoch ausdrücklich durch die Haager Landkriegsordnung von 1907 verboten ist, ist die völlige Umgestaltung der politischen und legislativen Ordnung des besetzten Landes. Dies ist allerdings das zentrale Ziel der amerikanischen Regierung unter dem Doppellabel von Regimewechsel und Demokratisierung gewesen. So sehr es das Interesse der UNO sein muss, dass der Irak und seine Bevölkerung zu einem normalen und gesicherten Leben zurückkehren können, so sehr muss sie sich davor hüten, in das US-amerikanische Umgestaltungs- und Demokratisierungsprogramm, dessen ökonomische und politische Interessen nur allzu durchsichtig sind, verwickelt zu werden.
UNO in der Zwickmühle
Es muss der UNO darum gehen, die Besatzung der USA so schnell wie möglich zu beenden, um dann die politische Souveränität und die territoriale Integrität des Iraks sowie die Sicherheit und die Menschenrechte seiner Bevölkerung wiederherzustellen und zu garantieren. Nicht nur aus Gründen der Unparteilichkeit und Vertrauensbildung, sondern auch aus Gründen der eindeutigen Distanzierung von vergleichbaren Abenteuern, die die US-Administration bereits gegenüber dem Iran angedeutet hat, haben die Vereinten Nationen genauso wie die Staaten der EU eine klare Trennung von den Aktivitäten der USA zu beachten. Das wäre zunächst ein Abwarten und Hinauszögern eigener Hilfsprogramme und Aktivitäten. Es ist aber mehr als unsicher, ob ihnen das gelingt, ob sie sich den wachsenden Bedürfnissen der Versorgung und der steigenden Not der irakischen Bevölkerung verschließen können.
Da es zugleich unwahrscheinlich ist, dass die USA zum Rückzug aus dem Irak bewegt werden können, bleibt der UNO nur eine strikte und auch sichtbare Trennung und Eigenständigkeit ihrer Aktivitäten von denen der Besatzungsmacht. Zudem könnte sie als Kontrolle und Korrektiv im Lande selbst auf die Beschränkung und Beendigung der Besatzung hinwirken.
Norman Paech ist Professor für Öffentliches Recht an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik.