Unruheherd in Thailands Süden
15. Januar 2004
Zwei stark bewaffnete Gruppen attackierten Anfang Januar 2004 militärische Außenposten und Polizeistationen. 21 Schulen wurden in Brand gesetzt. Vier Soldaten kamen ums Leben. Dutzende Maschinengewehre und Granatwerfer gerieten in die Hand der etwa 200 Mann zählenden Rebellen. Die Regierung in Bangkok verhängte sofort den Ausnahmezustand in den Südprovinzen. Mehrere Verdächtige wurden bei Razzien verhaftet und 3000 Soldaten als Verstärkung in das Gebiet geschickt. Am Donnerstag (15.1.2004) hat Bangkok den ersten Erfolg der Fahndung nach den Rebellen gemeldet: Vier mutmaßliche Anführer sollen festgenommen worden sein. Ihnen droht die Todesstrafe wegen Landesverrats.
Die islamische Separatistengruppe "Mujaheddin Pattani" ("Gotteskrieger Pattanis") soll hinter den Anschlägen stehen, behauptet die Regierung um Thailands Premierminister Thaksin Shinawatra. Die Gotteskrieger stehen, laut bisherigen Erkenntnissen, mit der internationalen moslemischen Terrororganisation "Jeemah Islamiyah" in Verbindung, einer südostasiatischen Terrorgruppe, die wiederum Teil des Al Kaida Netzwerks sein soll. Der Sicherheitsdienst der thailändischen Regierung hatte im Dezember 2003 Hinweise erhalten, dass eine Gruppe von 200 ausgebildeten Terroristen sich aus Malaysia auf den Weg nach Thailand gemacht habe.
Seit Jahrzehnten ein Krisenherd
Ob es sich bei den Rebellen tatsächlich um moslemische Gotteskrieger aus dem Al Kaida Netzwerk handelt, oder ob die thailändische Regierung mit ihren Verlautbarungen internationalen Rückhalt für ihr rigoroses Durchgreifen im Süden des Landes haben will, ist fraglich, spekuliert Michael H. Nelson, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Südostasien Experte der Universität Bangkok. Denn Thailands Problem mit dem Süden ist eines, dass sich nicht erst mit Al Kaida und dem 11. September verschärft hat.
"Der Süden Thailands ist schon seit Jahrzehnten ein Krisenherd. Die malaysischen Moslems im Süden des Landes fühlen sich von den Thais im Norden diskriminiert und so kam es immer wieder zu Aufständen", erklärt Nelson. Es sei schon fast symbolisch, wenn die Rebellen ausgerechnet Schulen anzünden. Denn: Die Regierung ließ vor einiger Zeit in allen staatlichen Schulen im Süden Buddha Statuen aufstellen. - Nur ein Beispiel für das kulturell unsensible Verhalten der Thais gegenüber ihren moslemischen Mitbürgern, meint Nelson.
Die jüngsten Aufstände in der Region haben ihre historischen Vorgänger in den 1970er und 1980er-Jahren. Damals forderte die PULO (Pattani United Liberation Organization) die Unabhängigkeit der überwiegend von malaysischen Moslems bevölkerten Provinzen Narathiwat, Pattani, Yala und Satun. Hintergrund dieser separatistischen Bewegungen war die Auffassung, dass Thailand eine Besatzungsmacht für die rund drei Millionen malaysischen Moslems darstelle.
"Die Thais waren einmal eine imperialistische Kolonialmacht im Südosten Asiens", sagt Michael Nelson. "So zumindest würden das die malaysischen Moslems im Süden empfinden." Immer wieder forderten die Moslems ihre kulturelle und politische Selbstständigkeit. Der Widerstand kam jedoch Mitte der 1980er-Jahre zum Erliegen. Seither gab es vereinzelte Bombenanschläge und Terrorangriffe gegen Institutionen der Regierung, aber von einem organisierten Widerstand konnte nicht mehr die Rede sein.
Viele leben unterhalb der Armutsgrenze
Ein großer Teil der Bevölkerung in den moslemischen Provinzen lebt unterhalb der Armutsgrenze. "Die Infrastruktur ist unterentwickelt und das Bildungssystem marode. Außerdem wurde diese Region nahezu vollständig von der Tourismusindustrie und dem wirtschaftlichen Boom im Norden des Landes ausgeschlossen", behauptet Frank Umbach, Leiter des Asien und Pazifik Programms der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik. Obwohl 85 Prozent der Bewohner im Süden Thailands Moslems sind, haben diese nur 20 Prozent der Stellen in Verwaltung und Polizei inne. Die staatlichen Schulen unterrichten zudem auf thailändisch, so dass viele der malaysisch sprechenden Kinder stattdessen Koranschulen besuchen.
Premierministerin Thaksin Shinawatra verkündete deshalb kurz nach den Anschlägen, sie wolle auch den Süden am Wohlstand des Landes teilhaben lassen. "Über die nächsten fünf Jahre werden wir aggressiv an der wirtschaftlichen Entwicklung unserer vier südlichen Provinzen arbeiten. Die Bevölkerung braucht dringend Reformen in der Bildung und verbesserte Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt." Angesichts der jahrelangen wirtschaftlichen und kulturellen Diskriminierung des Südens, klingt die Aussage der Premierministerin unglaubwürdig, sagt Michael Nelson. "Was die Moslems in erster Linie wirklich brauchen, ist die Anerkennung ihrer Kultur."