Unruhige Zeiten: Quo vadis, Tschad?
15. Januar 2025Offiziell sitzen Präsident Mahamat Idriss Déby Itno und seine Regierungspartei "Patriotische Heilsbewegung" (MPS) fest im Sattel: Laut dem vorläufigen Wahlergebnis der Parlamentswahl von Dezember kommt die MPS auf 124 von 188 Sitzen. Es war die erste Parlamentswahl im Tschad seit 2011.
Dass überhaupt wieder gewählt wurde, sei positiv, sagt Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die der konservativen CDU nahesteht. Allerdings: "Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl im April hat die Opposition das nicht ernst genommen und zum Boykott aufgerufen." Die Oppositionsparteien hatten "vorgefertigte Ergebnisse" vorausgesagt, die Wahlbeteiligung war äußerst niedrig. "Es stand außer Zweifel, dass die Regierungspartei klar gewinnen würde, so wie es außer Zweifel stand, dass Déby die Präsidentschaftswahl gewonnen hat", so Laessing. "Das war im Skript so vorgesehen."
Eher nicht vorgesehen war die Attacke auf den Präsidentenpalast in N'Djamena am 8. Januar. Dabei wurden alle 18 Angreifer sowie zwei Soldaten getötet. Präsident Déby erklärte, es sei ein Attentat auf ihn gewesen. Die Regierung sprach von einem "Sammelsurium drogensüchtiger und alkoholisierter Leute aus einem Armenviertel", die Lage sei schnell unter Kontrolle gewesen. Die DW konnte in N'Djamena mit einigen Tschadern sprechen, die diese offizielle Version anzweifeln. Die Hintergründe des Angriffs, der sich wenige Stunden nach dem Besuch des chinesischen Außenministers Wang Yi bei Präsident Déby ereignete, sind nach wie vor unklar.
Dass der Angriff auf das Konto der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram geht, ist unwahrscheinlich, glaubt KAS-Experte Laessing. "Die Dschihadisten sind hauptsächlich in der Tschadsee-Region aktiv und machen nicht so komplexe Angriffe wie auf den Präsidentenpalast. Die Angreifer wussten, wo sie hingehen müssen. Und sie wurden gleichzeitig erwartet. Ich vermute eher, dass es sich um eine Intrige innerhalb der Präsidentenfamilie oder den Clans im Palast handelt."
Spannungen im Präsidentenpalast
Spannungen gebe es in Débys Team seit einiger Zeit. Der Sohn und Nachfolger von Langzeit-Präsident Idriss Déby habe nämlich die alte Garde seines Vaters aus dem Zaghawa-Clan degradiert und stattdessen eigene Gefolgsleute befördert.
Ende November hatte die Regierung angekündigt, dass sie das Verteidigungsabkommen mit der früheren Kolonialmacht Frankreich aufkündigen wird. Die französischen Truppen sollen das Land bis zum 31. Januar verlassen. Das Datum sei "nicht verhandelbar", betonte der tschadische Militärminister. Bei einer Zeremonie in der Stadt im Osten des Landes gab Frankreich bereits den zweiten Militärstützpunkt an den Tschad zurück.
Entfernung von Frankreich, Annäherung an die VAE
Die alten Verbündeten des verstorbenen Präsidenten Déby senior seien "traditionell nah an Frankreich dran" gewesen, sagt Ulf Laessing. Sie sähen es als großes Risiko, dass Déby junior den Militärvertrag mit dem alten Partner eingestellt hat, zudem stünden sie der neuen Partnerwahl des Präsidenten äußerst skeptisch gegenüber.
Denn ähnlich wie in anderen französischen Ex-Kolonien - Niger, Mali, Senegal, Burkina Faso und die Elfenbeinküste haben Frankreich ebenfalls zum Truppenabzug aufgefordert - übernehmen nun neue Partner die vakant werdenden Positionen: Vor allem die Türkei und Russland, zu dem der Tschad die Beziehungen ausgebaut hat, das durch den Sturz des Assad-Regimes in Syrien aktuell aber geschwächt ist. Daneben gibt es einen weiteren großen Player: "Tschad setzt jetzt sehr stark auf die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die nach glaubwürdigen Berichten der Vereinten Nationen über den Ost-Tschad ihre Verbündeten im Sudan mit Waffen versorgen", so KAS-Experte Laessing.
Die Rede ist von der RSF-Miliz (Rapid Support Forces), einer paramilitärischen islamischen Gruppe, die gegen nicht-arabische Stämme vorgeht, darunter auch gegen den Zaghawa-Clan. "Sollte die RSF-Miliz den Krieg verlieren, könnte es gut sein, dass dann Zaghawa-Leute versuchen, sich an Déby zu rächen", glaubt Laessing. "Das könnte das ganze System Déby zum Einsturz bringen."
Rauswurf oder Neuorganisation?
Frankreichs Präsident Macron hatte seinen westafrikanischen Verbündeten in einer vielbeachteten Rede Undankbarkeit für Frankreichs jahrelangen Militäreinsatz vorgeworfen. Den Abzug des französischen Militärs erklärte Macron als von Frankreich selbst vorgeschlagene Reorganisation.
François Djékombé, ehemaliger Sprecher des jetzigen Präsidenten Déby, widerspricht gegenüber der DW: "Die französischen Truppen wurden aus Afrika vertrieben, ob man es nun wollte oder nicht. Als ob wir nicht in der Lage wären, unsere Sicherheit zu gewährleisten." Präsident Déby selbst sprach nach der Rede von "Verachtung gegenüber Afrika", Macrons Äußerungen würden "eine Haltung, die aus einer vergangenen Ära stammt" offenbaren. Der Tschad sei reif und die Sicherheitstruppen arbeiteten gut und autonom.
Das Verhältnis zwischen den beiden gilt als zerrüttet: Macron soll an Débys Eignung für das Präsidentenamt gezweifelt haben, und auch Déby wird Misstrauen gegenüber Macron nachgesagt. Der Rauswurf des unbeliebten Frankreichs könnte Débys Ansehen steigern.
Angst vor Jobverlust
Der Abzug des französischen Militärs bringt noch ein Problem mit sich: Mehrere hundert tschadische Arbeitnehmer, die in den französischen Stützpunkten ihr Geld verdienen, befürchten den Verlust ihrer Jobs und haben im Dezember einen Appell an die Regierung ihres Landes gerichtet, für Alternativen zu sorgen. Mohamed etwa, angestellt auf dem Militärstützpunkt in N'Djaména, sagte der DW: "Für uns ist das ein Schock. Wir haben hier unser Leben aufgebaut, und jetzt ist das alles bedroht."
"Ein riskanter Wechsel"
Frankreich hatte dem Tschad mehrfach militärisch beigestanden - etwa 2019 mit Luftangriffen auf aus Libyen einfallende Rebellen. Den Wechsel, den der Tschad nun vollzieht, hält KAS-Experte Laessing für riskant. "Déby hofft jetzt, von den VAE Drohnen zu bekommen, die die Rolle der französischen Jets ersetzen können, um Rebellenattacken zu bekämpfen." Doch bis die Drohnen vor Ort und die Soldaten daran trainiert sind, dauere es natürlich seine Zeit. Das Land sei weiterhin sehr fragil. Kurzfristig auf die französischen Soldaten zu verzichten, dürfte sehr schwierig sein, vermutet der KAS-Experte.
"Ich glaube, dass diese tumultartige Beziehung zwischen Paris und N'Djamena für uns eine Zukunft mit einem Fragezeichen voraussagt", sagt Gondeu Ladiba, Professor an der Universität von N'Djamena. "Denn wir wissen nicht, ob Frankreich endgültig geht oder ob nur einige Elemente seiner Armee gehen werden. Es gibt so viele Grauzonen."
"Die Regierung möchte betonen, dass diese Entscheidung die historischen Beziehungen und freundschaftlichen Bande zwischen den beiden Nationen in keiner Weise in Frage stellt", hieß es von Seiten des Tschad im November 2024 über Frankreich.
Was das am Ende konkret bedeutet, muss sich jetzt zeigen.
Mitarbeit: Blaise Dariustone, Carole Assignon