Malis Flüchtlinge
19. Juni 2013Nafisa Walet Nafisa sitzt mit ihren Töchtern Neya, Halima und Tatu in einem großen Zelt. Auf dem Boden liegen ein paar Matratzen und Decken. In einer Ecke steht das Kochgeschirr. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielen die drei Mädchen mit ein paar Steinchen am Boden und singen. Anfang 2012 kam die Familie nach Mentao Süd, eines der elf Flüchtlingslager in Burkina Faso, dem südlichen Nachbarland Malis. Die Familie gehört zu den rund 174.100 Flüchtlingen, die Mali seit Beginn der Tuareg-Rebellion im Januar 2012 verlassen haben.
Eineinhalb Jahre liegt ihre Flucht mittlerweile zurück, und Mutter Nafisa und ihre Töchter vermissen ihr Zuhause. "Wenn es nur zu einer Einigung zwischen Mali und der Befreiungsbewegung von Azawad käme, dann könnten wir schon heute Abend hier weg", seufzt Nafisa. Wenn es nach ihr ginge, wäre der Norden Malis schon längst unabhängig und hätte sich als neuer Staat Azawad gegründet - so wie es sich viele Tuareg wünschen.
Das Interview mit Nafisa liegt mittlerweile zwei Monate zurück. Dass sie in ihre Heimat zurückgekehrt ist, scheint unwahrscheinlich. Die Tuareg-Rebellen der Nationalen Bewegung für die Unabhängigkeit des Azawad (MNLA) und des Hohen Rates für die Einheit des Azawad (HCUA) konnten sich erst nach langen Verhandlungen mit der malischen Zentralregierung darauf einigen, dass in der Stadt Kidal am 28. Juli regulär die Präsidentschaftswahl stattfindet. Die MNLA kontrolliert die strategisch wichtige Stadt Kidal.
Das zähe Ringen zeigt: Der eigentliche Konflikt Nord-Malis, nämlich der zwischen Tuareg und malischer Zentralregierung, ist nicht gelöst. Auf beiden Seiten komme es derzeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen, klagt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Region ist demnach weiterhin unsicher - obwohl die französische Armee und die Truppen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS die Islamisten weitgehend zurückgedrängt haben.
Die Angst ist stärker als das Heimweh
"Wir beobachten überhaupt keine Rückwanderung", sagt Karl Steinacker, Direktor des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) im malischen Nachbarland Niger. Dort ist mit rund 50.000 Maliern die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe untergekommen - nach Mauretanien mit 74.000 Flüchtlingen. Im Moment glaube niemand, dass sich die Lage in der Heimat verbessere, erzählt Steinacker. Die Flüchtlinge fühlten sich nicht sicher. Weil der Großteil unter ihnen Tuareg seien, müsse vor allem gesichert sein, dass die malische Armee unter internationaler Beobachtung stehe, so UNHCR-Mitarbeiter Steinacker. Nur so könne verhindert werden, dass die malische Armee mit Übergriffen an den Tuareg Vergeltung übe - für den Aufstand im Januar 2012. Mindestens zwei Jahre, so rechnet Steinacker, könne es noch dauern, bis die Flüchtlinge endgültig zurückkehrten.
Nomadenleben im Flüchtlingslager
Im Lager in Burkina Faso bereitet Nafisa Walet Nafisa das Mittagessen vor. Es gibt Reis mit etwas Gemüse. So sieht fast jede Mahlzeit aus - übrigens die einzige am Tag. Fleisch, das eigentlich fast täglich bei vielen Tuareg-Familien in den Topf kommt, wird im Lager nicht verteilt. Für andere Nahrungsmittel fehlt den Flüchtlingen das Geld. Trotzdem: "Vielen Flüchtlingen geht es in den Lagern besser als der Bevölkerung im Aufnahmeland", gibt Karl Steinacker zu bedenken. Das Flüchtlingshilfswerk stellt die Versorgung mit Wasser und Medizin sicher. Außerdem kümmern sie sich um Schulbildung für die Kinder im Lager. Das Welternährungsprogramm sorgt für das Essen.
Die Tuareg sind traditionell Nomaden. So wie Nafisa Walet Nafisa mussten viele ihr Vieh zu Hause zurücklassen oder verkaufen. Tuareg, die in den Niger geflohen sind, können jedoch zum Teil weiter mit ihrem Vieh umherziehen: Hier hat der UNHCR die Behörden davon überzeugt, dafür Land zur Verfügung zu stellen.
Flüchtling im eigenen Land
Laut UNHCR sind mindestens 80 Prozent der malischen Flüchtlinge in den Nachbarländern Tuareg. Angehörige anderer Ethnien, etwa der Foula oder der Songhai, hätten dagegen in Mali selbst Schutz gesucht. Die Anzahl dieser Binnenflüchtlinge schätzt UNHCR auf 300.000. Aïsha Yattara ist eine von ihnen: Sie wiegt ihren zwei Monate alten Sohn auf dem Schoß hin und her. Das Baby ist quengelig und fängt immer wieder an zu weinen. Die junge Mutter versucht, den Kleinen zu beruhigen, doch das gelingt ihr nur für ein paar Minuten. "Das Kind ist krank", sagt sie und weiß: Eigentlich müsste es dringend zum Arzt. Doch dafür fehlt Aïsha Yattara das Geld. Ihre letzte Hoffnung ist ihre ältere Schwester. "Wenn sie kommt und Geld bringt, dann können wir zum Arzt gehen und den Kleinen untersuchen lassen." Seit Juni 2012 lebt die junge Frau mit ihrem Mann, ihrer Mutter, zehn Geschwistern und den beiden eigenen kleinen Kindern in der malischen Hauptstadt Bamako. Die Brutalität des Islamisten-Regimes hatte sie zur Flucht aus ihrer Heimatstadt Gao im Norden gezwungen.
Tägliche Sorge um Essen und Geld
Während die Flüchtlinge in den Nachbarländern mit Essen, einem Dach über dem Kopf und Medizin versorgt werden, müssen sich die Binnenflüchtlinge weitestgehend allein durchschlagen. Sie zehren von ihren Ersparnissen oder werden von Verwandten unterstützt. Untergekommen sind sie in Bamako, Mopti und Sévaré, entweder bei Familienangehörigen oder in angemieteten Häusern.
Die Versorgung ist nicht einfach: "Das Essen wird uns manchmal von ein paar Leuten gebracht“, erzählt Fatouma Arbi. "Ich habe zwar einen Bruder, der hier in der Stadt lebt. Der hat auch drei, vier Mal etwas gebracht, aber nicht jeden Tag." Noch mehr Sorgen macht ihr die Miete. Im Stadtteil Bako Djikoroni hat ihre Familie zwar eine Wohnung gefunden - drei kleine Zimmer, in einem Hinterhof. 50.000 CFA-Franc, das sind etwa 75 Euro, müssen sie für die Unterkunft zahlen. "Seit zwei Monaten bin ich aber schon im Rückstand. Die schmeißen mich noch raus. Ich weiß nicht, wie ich das bezahlen soll", klagt sie.
Das UNHCR kennt die Probleme der Flüchtlinge. Eduardo Cue, Sprecher in Bamako, berichtet, dass die Organisation zurzeit überprüfe, ob sie Mietkosten übernehmen könne. Das teure Leben in der Hauptstadt treibt bereits die ersten Binnenflüchtlinge zurück in die Heimat. Auch Fatouma Abri will nicht warten, bis der Norden wieder als sicher gilt. Sie möchte zurück nach Gao - und die ständige Sorge um Nahrungsmittel endlich hinter sich lassen. Raus aus den Mietschulden, raus aus der Hauptstadt Bamako, in die sie freiwillig nie gezogen wäre. "Sie sagen, es geht jetzt wieder besser in Gao", versucht sie sich selbst Hoffnung zu machen. "Deshalb versuche ich nun an Geld zu kommen für meine Rückkehr."