Untätiger Riese
22. April 2003Der 225 Werte umfassende Nikkei-Index büßte am Dienstag (22.4.2003) 2,24 Prozent ein und landete bei 7790,46 Punkten. Die psychologisch wichtige 8000er Marke als Grenze nach unten hat der Index schon lange hinter sich gelassen. Die Gründe sind zahlreich: Die stotternde Weltwirtschaft verhagelt den Anlegern den Appetit. Die Verkaufsabsichten der gebeutelten Pensionsfonds bei Aktien belasten den Markt. Die stark exportabhängige japanische Industrie leidet unter dem mangelnden Vertrauen der US-Verbraucher. Die Bankenkrise nimmt kein Ende, und der Staat stützt mit steigender Neuverschuldung das ganze Kartenhaus. "Gegenwärtig ist ein Ende der lang anhaltenden Schwächephase bei den Aktienkursen nicht absehbar, da auch die deflationären Tendenzen allgemein nicht gebrochen sind", kritisiert Klaus-Jürgen Gern, Leiter der Forschungsgruppe Internationale Konjunktur beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) gegenüber DW-WORLD.
Pessimistische Aussichten
Der Internationale Währungsfonds IWF sieht in Japan ebenfalls die Talsohle als nicht durchschritten an. Das schwache Wachstum dürfte ebenso wie die Deflation anhalten. Immerhin hat der IWF die Prognose aber nur um 0,3 Prozentpunkte auf 0,8 Prozent Wachstum gesenkt. Auch Japans Notenbank schätzt die konjunkturelle Entwicklung im Land weiter verhalten ein. Im April-Bericht heißt es, der private Verbrauch sei weiter schwach geblieben. Auch hätten höhere Gewinne bei den Unternehmen nicht zu einem Stimmungsumschwung geführt. Vor allem leidet die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt noch immer unter den massiven Problemkrediten der Banken, während die Preise weiter fallen und der Konsum, der 60 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, weiterhin zu schwach ist.
Steigende Neuverschuldung
Japan muss nun zur Finanzierung seines Staatshaushalts für das am 1. April beginnende Fiskaljahr 2003 wiederum Staatsanleihen in Rekordhöhe platzieren. Die Schulden steigen auf 36,4 Billionen Yen. Dabei hatte Regierungschef Junichiro Koizumi ursprünglich das Ziel, die Höhe neuer Anleihen auf 30 Billionen Yen zu begrenzen. Allerdings kann Japan dank seiner riesigen privaten Ersparnisse seine Staatsschulden weitgehend aus eigener Kraft finanzieren – anders als die USA.
Notenbank als Allheilmittel
Die japanische Notenbank stützt weiterhin massiv den Geldkreislauf und liegt im Clinch mit der Regierung Koizumi. Allerlei Mittel kommen dabei zum Einsatz. So erwägt sie nach Angaben des wirtschaftsfreundlichen Notenbankchefs Toshihiko Fukui den vollständigen Kauf von Unternehmens-Schuldpapieren und gibt ihnen dafür Kredit. Firmen können damit schneller Unternehmenskredite in Bargeld umwandeln. Die Bank indessen könnte auf den Papieren sitzenbleiben, wenn die Unternehmen aufgeben müssten. Entschieden wird darüber im Mai.
Die Deflation, den Kreislauf aus fallenden Preisen und fallenden Unternehmensgewinnen, nimmt die Bank noch immer nicht ins Visier. Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumi will jedoch eine allmähliche Preissteigerung durchsetzen. Dem hat sich die Bank of Japan bisher widersetzt. Die Äußerungen des Ministerpräsidenten könnten den Druck auf die japanische Zentralbank nun erhöhen, sich auf eine Zielmarke für eine Inflationsrate festzulegen. Denn nicht einmal die Nullzinspolitik der Bank of Japan konnte in vier Jahren die Deflation stoppen.
Geld für die Banken
Der gewaltige Reichtum der Bank of Japan stützt dagegen weiterhin die kranken Banken des Landes. Sie hat entschieden, die Summe für den Kauf von Aktienpaketen der Banken um eine Billion Yen (rund 8 Milliarden Euro) auf drei Billionen Yen aufzustocken. IWF-Experte Gern bezweifelt den Sinn solcher Maßnahmen: "Die Regierung und die Notenbank haben in den neunziger Jahren den Ernst der Lage nicht erkannt. Bis heute ist man sehr zögerlich, wodurch sich die Probleme verfestigen. Insbesondere der Finanzsektor ist weiterhin in einer Krise, deren Ausmaß für Außenstehende nur schwer abzuschätzen ist."
Fass ohne Boden
Die Bankenkrise ist im Filz herangezüchtet worden. "Es gibt keinen Puffer mehr", warnte vor einigen Wochen Masamoto Yashiro, Vorstandsvorsitzender der japanischen Shinsei Bank. Das Institut ist eines der wenigen, das seine Probleme im Griff hat. Möglich wurde dies unter anderem durch das strikte Eintreiben von Krediten. Ein nachsichtiger Gläubiger zu sein, gelte in Japan als Tugend, so Yashiro. Geld zu machen hingegen werde von vielen Menschen in Japan als "Sünde" betrachtet. Die meisten Unternehmen zahlten nur "ein bis drei Prozent" Zinsen an die Banken. Wenn das so weitergehe, sei man in 15 Jahren eine Provinz Chinas, frotzelte der 74jährige jüngst vor dem Club der Auslandspresse in Japan.