Zwei Welten auf Kos
5. September 2015Der kleine Hafen von Kos-Stadt hat alles, was Urlauberherzen höher schlagen lässt: Segelyachten, Ausflugsdampfer, Restaurants mit blau-weiß karierten Tischdecken, Andenkenläden, eine alte Festung und gemütliche Hotels mit Pool auf der Dachterasse. Doch am Ende des fast kreisrunden alten Hafenbeckens ändert sich die Szene schlagartig. Auf Grünstreifen links und rechts der Uferstraße stehen eng aneinander knallbunte Zwei-Mann-Zelte. Dutzende erschöpfte Frauen und Männer sitzen auf dem Boden im Schatten, Babys im Arm. Einige Kinder spielen mit streunenden Katzen. Manchmal rennen die Kinder bis zu dem Andenkenladen mit Muscheln und echten Schwämmen, der unmittelbar an das provisorische Lager der syrischen Flüchtlinge grenzt. Auf der Uferstrafe flanieren Touristen aus Nordeuropa entlang. Sie gehen an den Zelten und der langen Menschenschlange an der Polizeistation vorbei, gucken und knipsen mit ihren Handys Fotos.
"Ich alleine kann ja nichts machen"
"Die Urlauber und die Flüchtlinge haben eigentlich keinen Kontakt", sagt Jeff Lauer, ein Tourist aus den Niederlanden, der schon seit zehn Jahren nach Kos kommt. Manchmal bringen die Urlauber aus Mitleid Wasserflaschen oder etwas Essen für die Kinder mit, erzählt Jeff Lauer. "Meine Frau und ich haben gestern kleine Tüten mit Süßigkeiten gepackt und verteilt. Die Kinder waren sehr glücklich und haben meine Frau geküsst." Die Flüchtlinge seien ja schließlich Menschen, man müsse ihnen irgendwie helfen. Der Niederländer zuckt mit den Schultern. "Es ist schon eigenartig dieses Nebeneinander hier zu sehen, aber ich alleine kann das nicht ändern." Viele Bekannte zuhause hätten ihm abgeraten, überhaupt auf eine griechische Insel in den Urlaub zu fahren. "Das wäre falsch. Wir wollen ja auch den Griechen helfen, indem wir hier Urlaub machen."
"Tourismus in Gefahr"
Ein Hotelier in Kos, der nicht mit Namen genannt werden will, erzählt, dass nicht alle Urlauber so viel Verständnis aufbrigen. Er habe von einer britischen Touristin gehört, die sich beschwert habe, dass vor der Terrasse ihres Hotel Flüchtlinge herumgelungert hätten. Sie habe keinen Bissen mehr herunterbekommen. Einige Hotelbetreiber machen sich Sorgen um das Geschäft. Ein Strandhotel außerhalb von Kos-Stadt wirbt auf einem Reiseportal im Internet bereits mit dem Versprechen: "Wir haben garantiert flüchtlingsfreie Strände!" Es gibt aber auch einige Hotels, die von den Flüchtlingen profitieren. Denn viele Syrer sind nicht mittellos und mieten sich für ein paar Tage ein Zimmer, um die Registrierung als Flüchtling abzuwarten.
Der ehemalige Restaurantbesitzer Paraskos, der seinen Nachnamen nicht nennen mag, sagt: "Bei allem Verständnis für die armen Leute, aber auf Dauer können die hier nicht bleiben. Das vertreibt die Touristen." Vielleicht sei der Tourismus auf den Inseln nahe der Türkei nicht in diesem Jahr bedroht, aber wer wisse schon, wie sich die Bilder von wilden Lagern auf die Buchungen in der nächsten Saison auswirken werden? Paraskos ist vor allem sauer auf die Stadtverwaltung und die griechischen Behörden, die es nicht schaffen, die Flüchtlinge schneller zu registrieren und von der Insel mit Fähren aufs Festland zu bringen. "Ein paar Beamte mehr, ein paar Busse und Schiffe, und das Problem ist erledigt", ereifert sich der griechische Rentner im Café am Hafen.
Urlaub als freiwillige Helferin
Als die Kölner Studentin Hannah Pool mit ihrem Freund zum Strandurlaub auf Kos ankam und die Verzweiflung der Flüchtlinge sah, warf sie ihre Urlaubsplanung radikal um. Hannah Pool spricht Farsi und da viele der Flüchtlinge ebenfalls Farsi sprechen, bot sie sich als Übersetzerin an. Mittlerweile betreut sie mehrere Familien. Besonders die Frauen aus dem Iran und Afghanistan erzählen von schlimmen Erfahrungen. Die mangelnde Hygiene macht Hannah Pool große Sorge, weil es keine Toiletten für die Flüchtlinge gibt. Unbeschwert ist ihr Urlaub natürlich nicht mehr, sagt die Studentin, aber trotzdem sei es doch ganz wertvoll für sie, dass sie mit ihren Sprachkenntnissen helfen könne. Viele Flüchtlinge wüssten noch gar nicht, was sie noch alles erwarte auf dem Weg von Kos über Piräus weiter nach Nordeuropa.
Am Abend legt die tägliche Fähre nach Piräus auf dem Festland ab. Flüchtlinge, die nach Tagen des Wartens registriert wurden, dürfen mitfahren, wenn sie sich ein Ticket leisten können. Die Urlauber an der Hafenmole sehen zu, wie Hunderte durch einen gesonderten Eingang auf die Fähren strömen. In den griechischen Zeitungen wird derweil über gewaltsame Auseindersetzungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen auf Kos und Lesbos berichtet. In der Nacht werden neue Flüchtlinge über die Türkei im Urlaubsparadies Kos landen.