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US-Reaktionen auf Lauschangriff

Antje Passenheim, Washington 25. Oktober 2013

Der Lauschangriff auf das Handy der Kanzlerin verursacht transatlantische Funkstörungen. Präsident Obama ist in Erklärungsnot. Doch politische Stimmen in den USA fragen: "Warum die Aufregung?"

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Die Kanzlerin und ihr Telefon
Bild: imago/IPON

Das Top-Gesprächsthema sind Kanzlerin Angela Merkel und der Lauschangriff in den USA nicht, aber immerhin schaffte es das Thema auf die oberen Plätze einiger Medien. "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht", zitierte etwa der Sender CNN die enttäuschte Kanzlerin. Nach Auffliegen des Lauschangriffs auf Angela Merkels Handy scheint zumindest einer in Erklärungsnot: Präsident Barack Obama. "Die Vereinigten Staaten überwachen die Kommunikation der Kanzlerin nicht und werden sie nicht überwachen", habe der Präsident Merkel am Mittwoch (23.10.2013) in einem Telefonat versichert, so Regierungssprecher Jay Carney.

Das könnte glattweg gelogen sein, meinen andere politische Stimmen in Washington. Und dennoch ist keine Aufregung spürbar. Viel Rauch um Nichts, meint beispielsweise Pete Hoekstra, der bis 2007 das Geheimdienst-Komitee des US-Abgeordnetenhauses leitete. "Ich halte das durchaus für möglich", sagte er auf die Frage der DW, ob am Lauschangriff auf Merkel etwas dran sein. "Ich denke, das Verständnis in der Geheimdienstwelt ist, dass wir alle gute Freunde sind - Franzosen, Deutsche, Israelis, Amerikaner. Wir sind Verbündete, aber zur gleichen Zeit geschieht vieles", so der ehemalige republikanische Abgeordnete. "Es kann Zeiten geben, in denen wir uns ausspionieren. Und jeder versteht das gut."

USA sorgen sich um Draht nach Europa

Die Aufregung um die Informationen aus der Quelle des Whistleblowers Edward Snowden kann er wiederum nicht verstehen. "Das ist doch naives Denken", so Hoekstra. "Die deutsche Regierung sollte zu gut wissen, dass ihre Freunde sie ausspionieren, genau wie umgekehrt." Er wisse, dass einige Alliierte in den USA spionierten. Auch europäische Alliierte. "Das ist eines dieser ungeschriebenen Gesetze. Wir wissen, dass das so läuft." Die Aufregung in Berlin mute künstlich an. "Ich würde denken, dass der deutsche Geheimdienst und die Abgeordneten, die täglich mit ihm zu tun haben, nicht überrascht sind", so Hoekstra. "Ich denke, die einzige Überraschung könnte für sie sein, dass der deutsche Geheimdienst keine Gegenmaßnahmen hatte, den Lauschangriff zu stoppen."

"Der Präsident setzt die Regeln fest"

Ob es den Spähangriff tatsächlich gegeben hat, ist noch nicht bewiesen. Der Experte kann sich jedenfalls nicht vorstellen, dass Präsident Obama davon nichts gewusst habe. "Der Präsident setzt die Regeln fest, unter denen die Geheimdienste arbeiten. Die NSA und andere US-Organisationen können und dürfen nicht außerhalb der Grenzen agieren, die der Präsident ihnen setzt."

Ein Präsident, der sich unwissend stellt, um politischen Schaden abzuwenden? Wohl kaum, meint Raymond Tanter, Geheimdienstexperte und ehemaliger Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus unter Präsident Ronald Reagan. "Abhöraktionen im eigenen Land werden streng von den Gerichten, dem Kongress und dem Weißen Haus kontrolliert", weiß er. "Doch wenn es ums Ausland geht, kontrolliert das Weiße Haus weniger." Sehr gut möglich, dass es den Lauschangriff gab, meint Tanter, inzwischen Professor der Universität Michigan. "Ja! Yes! Ich glaube, dass es so war, weil die NSA dazu in der Lage ist." Die Behörde könne man mit einem Staubsauger vergleichen. "Sie saugen auf, was es zu saugen gibt, um den Inhalt irgendwann bei Bedarf vielleicht zu verwenden, um die Lücke in einem Puzzle zu schließen", so Tanter.

Interviewpartner Raymond Tanter Foto: DW/Antje Passenheim Oktober 2013
Die Abhöraktion fand vor Obamas Präsidenschaft statt, glaubt Raymond Tanter, ehemaliger NSA-MitarbeiterBild: DW/A. Passenheim

"Ich glaube, Präsident Obama muss davon gewusst haben, dass es solche Aktionen in der Vergangenheit gab", sagte Tanter der DW. "Wir wissen nicht, wie lange schon - und ich bezweifle, dass sie noch unter der Obama-Regierung gelaufen sind." Schließlich kooperierten die deutschen und amerikanischen Geheimdienste sehr gut miteinander. "Ich nehme an, dass der Bundesnachrichtendienst mehr über das wusste, was der amerikanische Geheimdienst tat, als es die politische Seite beider Staaten wusste."

Eine Schmollpause?

In jedem Fall sei dies kein Grund für eine nachhaltige Beziehungskrise, meint Mike Haltzel vom Zentrum für Transatlantische Beziehungen der Johns Hopkins Universität in Washington. Die Forderung von EU-Parlamentschef Martin Schulz nach dem Aussetzen der Freihandelsgespräche mit den USA sowie ähnlichen Äußerungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel hält Haltzel für völlig fehl am Platz. "Diese Reaktion ist nicht nur scheinheilig. Die Drohung ist selbstzerstörerisch und wird Deutschland und der EU mindestens genauso schaden, wie den USA - sie macht für mich überhaupt keinen Sinn", so das ehemalige hochrangige Mitglied des Komitees für Auswärtige Beziehungen im US-Senat.

Mike Haltzel Zentrum für Transatlantische Beziehungen der Johns Hopkins Universität in Washington (Foto: privat)
Politikwissenschaftler Mike Haltzel sieht keinen Grund für eine Beziehungskrise zwischen USA und EUBild: privat

Eine Schmollpause, womöglich ein Stopp der Verhandlungen, träfe letztlich Europa mehr als die USA. "Wirtschaftsexperten schätzen, dass das Freihandelsabkommen das Bruttoinlandsprodukt der EU um einen halben Prozentpunkt im Jahr steigern würde - in den USA dagegen lediglich um vier Zehntel Prozentpunkte", so der Europaexperte. "Das ist viel Geld, und daran hängen Zehntausende Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks." Sollte sich der Lauschangriff jedoch bewahrheiten, "schulden wir der Bundesregierung eine Erklärung und die Versicherung, dass dies nicht mehr vorkommt."

In den großen US-Medien rutschte die Kanzlerin am Freitag bereits weiter nach unten. Und nach wie vor rangierte sie weit hinter den Startpannen von Obamas Gesundheitsreform. Während CNN und das "Wall Street Journal" sich noch auf Merkels Mahnung konzentrierten, sorgte sich die "Washington Post" bereits um den Schaden, den Snowdens Offenbarungen der US-Regierung zufügen könnte, wenn es erstmal um den Iran oder China gehe.

Auch auf der Straße war der Skandal in Deutschland kein Gesprächsthema. "Ich denke schon, dass es ein Interesse gibt", meint allerdings Sebastian Rotella vom investigativen Recherchenetzwerk "Pro Publica". Doch das Thema berühre eher bestimmte Interessengruppen. "Es ist nicht das Ding, das hier Demos auf der Straße auslöst." Der Journalist, dessen Netzwerk beim Thema NSA auch mit der "New York Times" kooperiert, hat eine Erklärung: "Es gibt eine Reaktion. Es gibt Interesse. Es gibt Sorge." Jedoch seien Spionageskandale für die US-Öffentlichkeit nichts Neues. "Die Leute hier wissen, dass die Geheimdienste hochentwickelte Lauschtechniken haben", so Rotella. "Was jetzt neu ist, sind die Einzelheiten - und Namen."