US-Justiz könnte sich Winterkorn vorknöpfen
23. September 2015Das ist ein Urteil, das VW-Chef Martin Winterkorn und seine Manager wohl sehr genau analysieren werden: Vor wenigen Tagen verurteilte ein Gericht in Atlanta den früheren Chef der "Peanutbutter Corporation of America" zu 28 Jahren Haft. Stewart Parnell wurde schuldig gesprochen wegen seines fahrlässigen Umgangs mit salmonellenhaltiger Erdnussbutter in den Jahren 2006 und 2007. Mehrere hundert Menschen erkrankten damals, neun von ihnen starben.
Beim VW-Skandal kamen zwar keine Menschen zu Tode - eine Straftat sei der Betrug mit den Abgaszahlen aber dennoch, glaubt Deborah Gordon von der Organisation "Carnegie Endowment for International Peace". VW habe nicht nur wissentlich gegen US-Gesetze verstoßen, sondern habe auch den Wettbewerb verzerrt, so die Industrieexpertin des Washingtoner Thinktanks: "Andere Autohersteller wurden geschädigt." Anders als VW hätten sie Geld in die Entwicklung ihrer Autos investiert, damit diese den gesetzlichen Abgasvorschriften entsprechen.
Wie die USA vorgehen, das zeigt der Fall FIFA
Die New Yorker Staatsanwaltschaft kündigte gemeinsame Untersuchungen mit Kollegen aus anderen Bundesstaaten an, das US-Justizministerium leitete Strafermittlungen ein. Martin Winterkorn und andere VW-Manager dürften den neuen Wind bemerkt haben, der dort inzwischen weht. Im FIFA-Skandal verlangten Ministerin Loretta Lynch und ihre Beamten von der Schweiz erst kürzlich die Auslieferung einiger Fußball-Funktionäre.
Anfang September erließ das Ministerium schließlich neue Richtlinien für die Strafverfolgung von Wirtschaftsunternehmen. In ihnen wird erstmals der Verfolgung von Einzelverantwortlichen Vorrang vor Ermittlungen gegen das ganze Unternehmen eingeräumt: "Unternehmen können nur Verbrechen begehen durch Menschen aus Fleisch und Blut", begründete die stellvertretende US-Justizministerin Sally Q. Yates die neuen Richtlinien.
Was muss Winterkorn fürchten?
Damit reagierte das Justizministerium auf anhaltende Kritik, dass oft nur Unternehmen, selten aber - wie im Erdnussbutter-Fall - direkt Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen würden. General Motors etwa kam beim Skandal um fehlerhafte Zündschlösser mit einer Zahlung von 900 Millionen US-Dollar davon, ohne dass ein einziger Manager erfolgreich belangt wurde. Und das, obwohl aufgrund des technischen Defekts mindestens 12 Menschen ums Leben kamen.
Angesichts dieser verschärften Gangart: Muß Martin Winterkorn nun strafrechtliche Folgen für sich persönlich fürchten? Richard A. Penna von der Washingtoner Kanzlei Van Ness Feldman hat darauf noch keine abschließende Antwort, da die neuen Richtlinien erst seit zwei Wochen gelten. "Das ist einer der ersten Fälle, in dem sie zur Anwendung kommen könnten" sagt der Jurist im Gespräch mit der DW. "Schwer zu sagen, was das Justizministerium tun wird. Aber wenn man die neuen Bestimmungen genau liest, dann würde ich sagen: Ja, das ist absolut möglich."
Denkbar: Eine Ladung zum Verhör
Doch dafür müsse es "starke Beweise" geben, dass Winterkorn von der Manipulation der Abgaswerte persönlich wußte. Es werde jetzt eine sehr gründliche Untersuchung aller Vorgänge geben, so Penna. "Erst nach Kenntnis aller Fakten wird bewertet, welche Personen betroffen sind - und ob es zur Strafverfolgung kommen wird." Diese Entscheidungen würden aber wohl erst in einigen Wochen getroffen.
Bis dahin kann es gut sein, dass Martin Winterkorn oder andere VW-Manager vom US-Justizministerium zum Verhör nach Washington geladen werden. Sollte das passieren, hat Jurist Penna einen Rat für die Betroffenen: Hingehen. Winterkorn brauche zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens keine Verhaftung fürchten. "Es gibt keine unmittelbare Bedrohung", so der Anwalt.
Das Auto. Die Geldstrafe
Denkbar ist außerdem, dass die US-Justiz Winterkorn ins Portemonnaie greift: Deborah Gordon vom Carnegie Endowment for International Peace hält es für wahrscheinlich, dass nicht nur VW, sondern auch dessen Vorstandsvorsitzender von den Behörden finanziell belangt wird. Sie hat vor allem die Bonuszahlungen im Blick, die abhängig vom Unternehmenserfolg an Spitzenmanager ausgeschüttet werden: "Es sollte für das Justizministerium ziemlich einfach sein, herauszufinden, was seine Einkünfte in den Jahren des Wachstums waren. Und was er zusätzlich verdient hat", sagt die Autoexpertin - und schlussfolgert: "Ich könnte mir vorstellen, dass es eine persönliche Geldstrafe gibt, vielleicht sogar die gesamten zusätzlichen Ausschüttungen." Schließlich habe Winterkorn von dem Betrug finanziell profitiert.