US-Vizepräsident besucht Ankara
23. August 2016Der Besuch von Joe Biden kommt zu einem Tiefpunkt in den beiderseitigen Beziehungen. Es gab sogar schon Spekulationen über einen grundlegenden Bruch der jahrzehntelangen Partnerschaft, die schon so manche Krise erlebt hat.
"Die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei hatten schon immer ihre Höhen und Tiefen und waren seit jeher sehr pflegeintensiv", sagt Ozgur Unluhisarcikli, der Direktor des German Marshall Fund der USA in Ankara. "Heute gehen wir wieder durch eine schwierige Zeit."
Bereits vor dem Putschversuch am 15. Juli waren die Beziehungen stark belastet wegen der unterschiedlichen Auffassungen zu Syrien, selbst seit Ankara eine entscheidende Rolle in der US-geführten Koalition gegen den "Islamischen Staat" spielt. Mit dem Putschversuch nahmen die Spannungen dann noch zu.
Türken rufen Washington
Die türkische Führung wie auch breite Teile der Bevölkerung haben die USA beschuldigt, den in den USA lebenden Kleriker Fetullah Gülen gewähren zu lassen, wenn nicht sogar ihn aktiv zu unterstützen. Ankara verdächtigt Gülens Anhänger, für den Putschversuch verantwortlich zu sein, und betrachtet sie deswegen als Terroristen.
Die Türkei hat von den USA formell die Auslieferung des Predigers Gülen beantragt. Das teilte das US-Außenministerium in Washington mit. Gülen leite ein undurchschaubares Netz an Schulen, Hilfsorganisationen und Unternehmen. Die Türkei wirft der Gülen-Bewegung vor, den Staat seit Jahrzehnten zu untergraben und einen "Parallelstaat" aufzubauen, worauf die Türkei mit massiven Säuberungen nur reagiert habe.
Ein Auslieferungsersuchen würde ein langer Prozess, der konkrete Beweise über Gülens Verwicklung benötigte, um vor einem amerikanischen Gericht Bestand zu haben. Es wären außerdem ausreichende türkische Zusicherungen erforderlich, dass Gülen in der Türkei ein fairer Prozess erwarten würde.
Es gibt zahlreiche Indizien, dass Gülen-Anhänger an dem Putsch beteiligt waren. In der stark polarisierten türkischen Gesellschaft und Politik ist es bezeichnend, dass alle vier Parteien im Parlament den Putsch Gülen anlasten.
Die Türkei hat Dokumente an die USA eingereicht, die angeblich kriminelle Aktivitäten Gülens vor dem Putsch belegen. Die türkische Regierung bezeichnete die Gülen-Bewegung das erste Mal im Jahr 2013 als Terrororganisation.
Als Zeichen, dass die USA die Türkei ernstnimmt, hat Washington vor dem Biden-Besuch ein Team von Fachleuten aus dem Justiz- und Außenministerium nach Ankara entsandt. Dieser Schritt - zusammen mit Bidens Zusicherung der fortgesetzten Partnerschaft beider Länder - könnte helfen, die Spannungen ein wenig zu entschärfen.
"Der Besuch des Vizepräsidenten ist ein konstruktiver Schritt, um die Probleme in den Griff zu bekommen, nicht nur darüber zu reden, nicht nur den anderen zu beschuldigen, sondern wirklich die kritischen Punkte aufzuarbeiten", meint Ross Wilson, ein früherer US-Botschafter in der Türkei, gegenüber der Deutschen Welle. "Das ist das richtige Vorgehen. Das hat in der Vergangenheit funktioniert, und so pflegt man die Beziehung zu einem freundlichen Land."
Wilson glaubt, dass US-Politiker mit der Türkei auch im Fall Gülen zusammenarbeiten sollten. "In dem Maße, in dem die USA mit der Türkei zusammenarbeiten, wird es auch weniger Irritationen geben."
Rätsel Syrien
Ein zweiter Punkt auf Bidens Besuchsprogramm sind der Kampf gegen den IS und die internationalen Bemühungen für eine politische Lösung in Syrien. In Syrien und dem Irak ist die Türkei ein wichtiger Verbündeter, dessen Kooperation über Erfolg oder Scheitern der US-Strategie in der Region entscheiden wird.
Die Türkei erlaubt der US-geführten Koalition, den Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Süden des Landes zu nutzen, um Angriffe gegen den IS zu fliegen. Die beiden Verbündeten sind sich aber nicht immer über die richtige Strategie einig. Die Türkei ist zum Beispiel beunruhigt, dass die USA die syrisch-kurdische YPG-Miliz gestärkt haben. Deren politischer Arm hat ein autonomes Gebiet entlang der türkischen Grenze geschaffen.
Ankara betrachtet die YPG-Miliz als terroristische Organisation wegen ihrer Verbindungen mit der Kurdischen Arbeiterpartei, PKK. Washington sieht die PKK zwar auch als Terrorgruppierung, betrachtet die PYD/YPG allerdings als eigene Organisation. Die Türkei macht in dieser Hinsicht keine Unterschiede. Für sie sind IS, PKK/PYD und Gülen alle Terroristen.
Man braucht einander
Die USA unterstützen mit ihrer Luftmacht die arabisch-kurdischen Syrisch-Demokratischen Streitkräfte (SDF), die auch von der YPG beherrscht sind. Den SDF gelang es, den IS an vielen Fronten zurückzudrängen. Die Türkei befürchtet, dass die USA bei dem vorrangigen Ziel, den IS zu bekämpfen, den Kurden zu viel Macht bescheren und dass auch den Autonomiebestrebungen der eigenen kurdischen Bevölkerung Auftrieb gibt.
So versucht die Türkei, ihre Beziehungen zu Russland, Israel und dem Iran zu reaparieren. Das bedeutet aber keinen grundlegenden Bruch mit den USA oder eine Hinwendung zum Osten. Syrien ist ein sehr komplizierter Kriegsschauplatz, und die Türkei hat nicht die diplomatische, politische oder militärische Kraft, um allein ihre Interessen in Syrien zu sichern. Darum haben die USA als Supermacht immer eine besondere Rolle für türkische Politiker gespielt. Die USA benötigen die Türkei und die Türkei die USA. "Die Allianz wird auf beiden Seiten hochgeschätzt", so Politikberater Wilson.