USA: Zartes Tauwetter im Hinterhof?
20. Mai 2022Deutet sich mit den sanften Tönen aus Washington in Richtung Venezuela und Kuba ein Umdenken in der Lateinamerikapolitik der USA an? Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden hat die Lockerung einiger Sanktionen gegen Venezuela angekündigt. Die Ölfirma Chevron habe die Erlaubnis bekommen, mit der venezolanischen Ölgesellschaft PDVSA Gespräche zu führen. Ausdrücklich ausgeschlossen sei aber bis auf Weiteres, venezolanisches Öl zu fördern und zu exportieren, so US-Quellen. Die in Aussicht gestellten Sanktionslockerungen seien an eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen der Opposition um Juan Guaidó und der Regierung von Staatschef Nicolás Maduro gebunden.
Positiver Schritt?
Chevron ist der letzte große US-Ölkonzern, der noch in Venezuela tätig ist; schon seit den 1920er Jahren hat sich das Unternehmen an der Ölförderung in dem südamerikanischen Jahre beteiligt. Vor den von Bidens Vorgänger Donald Trump verhängten Sanktionen lag die Tagesfördermenge von Chevron in Venezuela bei rund 200.000 Barrel. Wie lange es dauern würde, die Exploration wieder anlaufen zu lassen ist ungewiss, denn die venezolanischen Förderanlagen befinden sich in einem maroden Zustand. Aktuell richtet sich der Blick der Beobachter ohnehin stärker auf die politischen Implikationen, die die schleichende Aufhebung der Sanktionen hervorrufen.
"Dieser Schritt seitens der Vereinigten Staaten ist für alle beteiligten Akteure sehr positiv und wird vielleicht endlich den Prozess des demokratischen Übergangs in Venezuela eröffnen", glaubt Ana Soliz de Stange, Politikwissenschaftlerin an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr. Für die USA würde eine Annäherung mehrere Vorteile bringen: Sie könnten in Zukunft wieder venezolanisches Öl beziehen, dem Einfluss Russlands in Lateinamerika entgegenwirken und gleichzeitig einen demokratischen Übergang in Venezuela fördern, so Soliz de Stange im Gespräch mit der DW.
Gegenwind in den USA
Die Entscheidung der Biden-Regierung, die Tür für das Maduro-Regime in Venezuela zumindest einen Spaltbreit zu öffnen, stieß jedoch in den USA schon auf massive innenpolitische Kritik.
Der republikanische Senator Marco Rubio und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Senats, der Demokrat Bob Menendez, kritisierten umgehend und unabhängig voneinander die Biden-Regierung scharf. Rubio warf Biden vor, "illegitime, korrupte Regime in unserer Hemisphäre zu stärken, die die amerikanische nationale Sicherheit untergraben". Menendez sprach von einer gescheiterten Strategie , "Maduro eine Handvoll unverdienter Almosen zu geben, nur damit sein Regime verspricht, sich an den Verhandlungstisch zu setzen".
Der innenpolitische Druck, dem Biden in den USA ausgesetzt ist, sollte nicht unterschätzt werden, meint Günter Maihold, Lateinamerikaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): "Beide Seiten gehen mit minimalem Risiko in diese Geschichte hinein. Will heißen, jeder kennt sein Gegenüber und weiß, dass bei Venezuela erratische Ausschläge sehr schnell auftreten können und dass bei den USA innenpolitischer Druck sehr schnell den Abbruch von Initiativen zur Folge haben könnte, die auf Lockerung ausgerichtet sind", sagte Maihold im Gespräch mit der DW.
Es handele sich um einen vorsichtigen Versuch Washingtons, die blockierten Gespräche zwischen Opposition und Regierung in Venezuela wieder in Gang zu bringen und gleichzeitig Interesse an den venezolanischen Ölvorkommen anzumelden, die man aus geostrategischen Gründen nicht China und Russland überlassen möchte.
Dissonanzen beim Amerika-Gipfel?
Fast zeitgleich zur Ankündigung, Teile der Strafmaßnahmen gegen Venezuela zurücknehmen zu wollen, beschloss die US-Regierung auch eine Lockerung bestehender Sanktionen gegen Kuba. Dabei geht es vorrangig um Reiseerleichterungen für Kubaner.
Die vorsichtigen Deeskalationssignale gegenüber Venezuela und Kuba erfolgen im Vorfeld des Amerika-Gipfels. Das unregelmäßig stattfindende Treffen aller Staats- und Regierungschefs des amerikanischen Kontinents findet vom 6. bis 10. Juni erstmals in den USA statt. Mehrere Präsidenten lateinamerikanischer Länder, unter anderem Mexikos Staatschef Andres Manuel López Obrador, haben ihre Teilnahme jedoch davon abhängig gemacht, dass auch Nicaragua, Venezuela und Kuba eingeladen werden.
"Die USA stehen unter dem Druck, dafür zu sorgen, dass ihr Gipfel in Los Angeles nicht völlig in die Binsen geht", sagt Maihold. Daher "versuchen sie, auch eine gewisse positive Stimmung zu schaffen". In vielen Medien sei zu lesen gewesen, dass der Gipfel schlecht vorbereitet worden sei. Daher versuche Washington jetzt, "noch irgendwas zu kitten", so Maihold.
"Kein Austragungsort für Großmachtrivalitäten"
Zudem sind auch auf dem amerikanischen Kontinent die Auswirkungen der globalen politischen Großwetterlage mit dem Krieg in der Ukraine spürbar. "Wenn ich die Haltung in Lateinamerika richtig interpretiere, dann sagen die meisten Regierungen erstens, dass dies nicht ihr Krieg ist, und zweitens, dass sie nicht in ein Lagerdenken hineingezogen werden wollen", so Maihold.
Die meisten Länder in der Region zögen es vor, sich frei zwischen den Großmächten bewegen zu können und dadurch gewisse Vorteile zu erlangen. "An dieser Haltung wird keine große Umgarnung seitens der USA etwas ändern. Denn unabhängig davon, ob die Länder links oder rechts orientiert sind, ist das der einzige Konsens, dass man nicht zum Austragungsort von Großmachtrivalitäten werden will", so Maihold.
Soliz de Stange ist für Veränderungen in Venezuela trotzdem vorsichtig optimistisch. Die US-Regierung beweise, dass sie pragmatisch agieren kann: "Die Wirtschaftssanktionen haben ihr Ziel, die Regierung von Staatschef Maduro zu stürzen, nicht erreicht. Im Gegenteil wirkten sie dem entgegen und trieben Venezuela in die Arme Chinas und Russlands", analysiert die bolivianische Politikwissenschaftlerin. Ihrer Ansicht nach eröffnet eine an Konditionen gebundene Annäherung zumindest die Chance für einen demokratischen Übergang in Venezuela. Der Zeitpunkt sei günstig, denn bis zu den venezolanischen Präsidentschaftswahlen 2024 sei noch Zeit, um mit Maduro faire Bedingungen für die Opposition auszuhandeln.