Vaclav-Havel-Preis für uigurischen Aktivisten
30. September 2019Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat den renommierten Vaclav-Havel-Preis in diesem Jahr erstmals doppelt vergeben: Er geht an den inhaftierten uigurischen Wissenschaftler Ilham Tohti sowie die Jugendinitiative für Menschenrechte (YIHR), die sich für Aussöhnung und Frieden auf dem Balkan einsetzt. Das gab die Präsidentin der Versammlung des Europarats, Liliane Maury Pasquier, in Straßburg bekannt.
Tohti setzt sich für eine Verbesserung der Situation der uigurischen Minderheit in China ein. Er war 2014 wegen angeblichem "Separatismus" zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Regierung in Peking hatte mit dem Vorwurf, der Europarat unterstütze Terrorismus, auf seine Nominierung als Kandidat für den Vaclav-Havel-Preis reagiert. Die Verleihung des Preises erfolgte nun nur einen Tag vor den großen Feiern zum 70. Gründungstag der Volksrepublik. Tohti gilt auch als Kandidat für den Friedensnobelpreis.
Hoffnung für alle Uiguren?
Stellvertretend für den Laureaten bedankte sich der Präsident der Ilham-Tohti-Initiative, Enver Can, bei den Parlamentariern für die Auszeichnung. "Der Preis wird ihm helfen, hinter Gittern zu überleben und den Kampf gegen die Unterdrückung des Volks der Uiguren fortzuführen", sagte Can. Die Auszeichnung gebe allen Uiguren Hoffnung.
Das ungewöhnlich harsche Urteil im September 2014 gegen den Pekinger Wirtschaftsprofessor erscheint heute als Vorläufer der verschärften Verfolgung des Turkvolkes in der Nordwestregion Xinjiang. Nach Schätzungen hat China rund eine Millionen Uiguren in Umerziehungslager gesteckt, was weltweit Empörung ausgelöst hat. Die Region Xinjiang im Westen Chinas, wo die Uiguren beheimatet sind, gilt als ständiger Konfliktherd. Das Turkvolk fühlt sich wirtschaftlich, politisch und kulturell von den herrschenden Chinesen unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 in Peking hatten sich die Kommunisten das frühere Ostturkestan als autonom verwaltete Region einverleibt.
Völkerverständigung auf dem Balkan
Die Initiative YIHR strebt seit ihrer Gründung 2003 die Aussöhnung auf dem Balkan an, indem sie dort junge Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen, Regionen und Ländern zusammenbringt. Das Wiederaufleben ethnischer Konflikte soll so verhindert werden.
Der Programmdirektor von YIHR in Serbien, Ivan Djuric, warnte im Plenarsaal der Abgeordnetenversammlung vor dem Risiko erneuter Gewalt in der Region, das weiterhin groß sei: "Stellen Sie sich nicht taub gegenüber dem Geräusch von Kriegstrommeln auf dem Balkan", sagte der Serbe. Europa dürfe das Säbelrasseln dort nicht überhören. "Wir sind keine Außenstehenden, wir sind Europäer", so Djuric.
Die Initiative YIHR ist in Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, dem Kosovo und Montenegro aktiv und setzt sich unter anderem gegen Nationalismus und für die Völkerverständigung ein. In der Vergangenheit unterstützte sie die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Die Organisation wolle unter anderem erreichen, dass es in der Region Respekt für alle Kriegsopfer gebe - egal welcher Nationalität diese angehörten, so Djuric.
Preisgeld von 60.000 Euro
Mit dem Havel-Preis zeichnet der Europarat seit 2013 Menschenrechtsaktivisten aus. Der Preis ist mit 60.000 Euro dotiert und benannt nach dem verstorbenen Bürgerrechtler und Präsidenten der Tschechischen Republik. Zur Parlamentarischen Versammlung kommen viermal im Jahr Abgeordnete der 47 Staaten des Europarats zusammen. Die Organisation in Straßburg, die unabhängig von der EU agiert, wacht über die Menschenrechte in ihren Mitgliedsländern.
Im vergangenen Jahr ging der Havel-Preis an den Leiter des Memorial-Menschenrechtszentrums in Tschetschenien, Ojub Titijew, der unter dem Vorwurf des Drogenbesitzes zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt worden war. Titijew kam im Juni unter Auflagen frei.
Frühere Preisträger waren unter anderen die vor der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) aus dem Irak geflüchtete Jesidin Nadia Murad, die später auch den Friedensnobelpreis erhielt, die Menschenrechtsaktivisten Ljudmila Alexejewa aus Russland und der ehemalige türkische Verfassungsrichter Murat Arslan.
kle/gri (afp, dpa)