Varoufakis in Berlin
8. Juni 2015Yanis Varoufakis mag das Enfant Terrible der europäischen Politik sein, ungeliebt bei seinen Ministerkollegen, verspottet und sogar verunglimpft in den Medien – in Berlin war der griechische Finanzminister am Montag Abend ein Star. Hunderte Bürger waren zu seinem Auftritt im Französischen Dom am Gendarmenmarkt gekommen, um den wortgewaltigen Wirtschaftsprofessor live zu erleben. Eine lange Schlange hatte sich am Eingang gebildet, vor dem Dom hatten sich ein paar Dutzend Demonstranten eingefunden, die mit Plakaten und Transparenten und mit Ansprachen Solidarität mit Griechenland bekundeten und einforderten. Drinnen wurde der Minister, der seit Wochen den Unmut der EU-Politiker und der Gläubiger-Institutionen auf sich zieht, mit griechischer Musik und mit viel Applaus begrüßt.
"Ich bin gekommen, um Brücken zu schlagen", sagte Varoufakis. Er wolle Harmonie bringen im Angesicht der wiederkehrenden Versuche, Streit und Uneinigkeit zwischen Völkern zu stiften. Deutsche und Griechen etwa hätten seit dem Zweiten Weltkrieg ihre Differenzen überwunden und seien sich immer näher gekommen. Erst die Finanzkrise habe einen Keil zwischen die beiden Völker getrieben und nun sorge die gemeinsame Währung für ein immer weiteres Auseinanderdriften.
"Wir Europäer haben ein fehlerhaftes Euro-System geschaffen"
An der Überschuldung seines Landes seien weder die Griechen allein noch die starken europäischen Länder schuld. Deutschland zum Beispiel habe mit seiner starken Wirtschaftskraft und niedrigen Löhnen riesige Außenhandelsüberschüsse aufgehäuft habe – zulasten der Länder an der Peripherie, die sich immer mehr verschuldet hätten. Das System der gemeinsamen Währung sei von Anfang an fehlerhaft und die Krise daher unausweichlich gewesen. "Es nützt nichts, wenn wir in moralischen Kategorien über Schulden sprechen", betonte Varoufakais. "Wir Europäer haben dieses System geschaffen und wir müssen es gemeinsam reparieren."
Drei aufeinander folgende griechische Regierungen hätten fünf Jahre lang die Griechen und die Deutschen in die Irre geführt. Sie hätten vorgegeben, den Bankrott Athens durch immer neue Schuldenaufnahme und durch die Verarmung der Bevölkerung aufhalten zu können. Doch dies habe nicht funktioniert und könne auch nicht funktionieren. Ein Land, das kein Wachstum generiere, könne seine Schulden nicht zurückzahlen.
Zunehmende Armut in Griechenland
In Griechenland hätten Zehntausende ihre Arbeit, ihre Häuser und ihre Renten verloren und die Arbeitsschutzgesetze seien abgeschafft worden. Die Folge sei, dass 500.000 Griechen seit sechs Monaten ohne Bezahlung arbeiteten. "Das ist schlimmer als Sklaverei", so Varoufakis. Seine Regierung habe den Gläubiger-Institutionen daher vorgeschlagen, moderne Arbeitsschutzgesetze zu erarbeiten und das Rentensystem so zu reformieren, dass mehr Geld in die Sozialkassen komme und das System tragfähig werde. Beide Vorschläge seien abgelehnt worden. Stattdessen verlangten die Gläubiger weitere Einschnitte bei der Altersversorgung, die schon um 40 Prozent abgesenkt worden sei. Außerdem forderten sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Strom von 13 auf 23 Prozent. Doch mit solchen Reformen sei die griechische Wirtschaft nicht zu retten. "Wenn Sie weiterhin unsere Bevölkerung auspressen und ins Elend stürzen, werden wir nie reformierbar sein", warnte Varoufakis.
Eine "Rede der Hoffnung" für die Griechen
Der griechische Finanzminister erinnerte an Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Alliierten begannen, das besiegte Land zu deindustrialisieren, um es zu einem Agrarland zu machen. Erst die "Rede der Hoffnung" des damaligen amerikanischen Außenministers James F. Byrnes in Stuttgart im Jahr 1946 habe die Wende eingeleitet und die Voraussetzung für den Marshall-Plan und das Wirtschaftswunder in Deutschland geschaffen. Er wünsche sich nun eine ähnliche Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die seinem Volk wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft gebe.
Varoufakis beendete seine Rede mit einer persönlichen Erinnerung an seine Kindheit und einer Verneigung vor der Deutschen Welle. Er erinnere sich noch gut, wie seine Eltern während der Militärdiktatur zwischen 1969 und 1975 die auf Kurzwelle übertragenen Sendungen der Deutschen Welle in griechischer Sprache gehört hätten. "Die Deutsche Welle war unser Verbündeter gegen die Unterdrückung", sagte Varoufakis. Nacht für Nacht habe der deutsche Auslandssender einen Hauch von frischer Luft aus Deutschland gebracht, das fest an der Seite der griechischen Demokratie gestanden habe. "Deutschland war für mich eine Quelle der Hoffnung", betonte der griechische Finanzminister.
Im Französischen Dom in Berlin traf Varoufakis ein wohlwollendes Publikum, das ihm interessiert zuhörte. In der deutschen und europäischen Politik dagegen begegnet man ihm nach wie vor mit Skepsis, Ärger und Misstrauen. Eine Lösung im Schuldenstreit ist nicht absehbar.