Schützen Veganer das Klima?
11. August 2019Woran erkennen wir, was gerade Lifestyle ist? Mit einem Blick auf das Börsenbarometer zum Beispiel: Das US-Unternehmen "Beyond Meat" schnellte gleich nach Börsenstart im Mai 2019 durch die Decke. Ist die Nachfrage nach dem Burger aus Erbsenproteinen so groß - oder eher das Vertrauen der Börsianer in eine neue Zeitrechnung: in die Ära "Jenseits von Fleisch"?
Ein gutes Geschäftsmodell, müssen sich wohl einige deutsche Discounter gedacht haben. Sie stellen nun ihre eigenen Veggie-Produkte in die Regale, die überraschend schnell ausverkauft sind. Erstaunlich auch, auf wie vielen Lebensmitteln nun das Siegel "Vegan" prangt: Apfelsaft, Wein, Nüsse oder Zartbitterschokolade.
Der fleischessende Laie wundert sich: Wieso, da waren doch noch nie Tierprodukte drin? Der informierte Veganer weiß: Bei vielen pflanzlichen Lebensmitteln kommen Tierprodukte zum Einsatz, beispielsweise bei der Klärung von Wein, Eiweiß oder Gelatine. Spätestens seit eine US-amerikanische Fastfood-Kette den "Big Vegan TS"-Burger im April 2019 in Deutschland eingeführt hat, ist klar: Vegan ist nicht nur toleriert, es ist auf dem Weg zum Mainstream.
Auf die Herkunft kommt es an
Aufwind bekommt dieser Lifestyle durch die anhaltende Debatte rund um Klimaschutz. Woche für Woche demonstrieren die Fridays for Future-Schüler für den Umweltschutz. Natürlich müssen Politik und Industrie die großen Weichen stellen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Doch wer die Welt retten will, der sollte bei sich anfangen, sagt Initiatorin und Vorbild Greta Thunberg: kein Fleisch, keine Flugreisen, kein Plastik. Die Motive sind redlich, doch schützen Veganer tatsächlich das Klima?
Unter Umständen ja, sagt Felix Olschewski, Blogger von "Urgeschmack" und Kochbuchautor. In vielen Fällen aber nicht. "Wenn es ums Klima geht, muss man immer schauen: Wo kommen meine Lebensmittel überhaupt her?"
Ein Rind, das auf einer gerodeten Regenwaldfläche in Argentinien steht, mit Soja aus Monokulturen gefüttert wird und per Frachtschiff nach Deutschland geschifft wird, hat natürlich eine schlechtere CO2-Bilanz als ein Tier von einem regionalen Betrieb. Insbesondere wenn es ein Weiderind ist. Die essen nämlich Gras von Flächen, die für den Ackerbau unbrauchbar sind, brauchen keine landwirtschaftlich hergestellten Futtermittel und tragen somit zur Erhaltung des Ökosystems Grasland bei. Auch klimaschädliche Gase, die Tiere beim Verdauen produzieren, würden sich bei Weidetieren in einem natürlichem Kreislauf im Gleichgewicht halten. Der Kochbuchautor hat sich vor zehn Jahren aus gesundheitlichen Gründen für eine Paleo-Ernährung entschieden, ein Konzept, das sich an der Ernährungsform von Steinzeitmenschen orientiert - also eine Zeit weit vor industriellem Ackerbau und Viehzucht. Heute sieht er das Konzept kritisch, dennoch habe es ihm wichtige Impulse für eine gesunde und nachhaltige Ernährung gegeben. Auch wenn einige wenige Rezepte seines Blogs Produkte wie Bananen oder Kokosöl beinhalten, hat er persönlich sich für regionale Kost und damit für kurze Transportwege zugunsten des Klimas entschieden.
Siegel drauf: Lebensmittelindustrie wird "Vegan"
1,3 Millionen Menschen ernähren sich in Deutschland vegan. Aus Marketingsicht ist das, gemessen an der deutschen Gesamtbevölkerung von 83 Millionen, eine irrelevante Gruppe. Interessanter ist da der Blick auf die Hobby-Veganer und Flexitarier, sprich auf diejenigen, die gelegentlich vegane oder vegetarische Lebensmittel kaufen.
Ein bisschen Verzicht ist in: So wollen 63 Prozent der Deutschen ihren Fleischkonsum laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut "YouGov" reduzieren. Die Aufschrift "vegan", die bis vor kurzem eher für ein paar verirrte Ökos galt, steht heute synonym für "gesund" und "klimafreundlich". Welcher Lebensmittelhersteller würde damit nicht extra werben wollen? Doch gerade bei Fleischersatz lohnt ein Blick ins Kleingedruckte. "Bei vielen Produkten ist die Liste der Zusatzstoffe so lang, dass selbst der Nachhause-Weg nicht ausreicht, um sie durchzulesen", so Olschewski.
Der Beliebtheit der Produkte tut dies (bisher) keinen Abbruch: Um 30 Prozent jährlich steigerte sich seit 2008 der Umsatz veganer und vegetarischer Lebensmittel laut Marktforschungsinstitut Nielsen. Was die Einführung von neuen Produkten angeht, ist Deutschland sogar führend: Im Vergleich zu 2013 haben sich laut Marktforschungsunternehmen Mintel vegane Produkteinführungen mehr als verdreifacht, 15 Prozent aller Weltneuheiten - zum Beispiel vegane Leberwurst - kommen aus Deutschland.
Apropos vegane Wurst: Unangefochtener Marktführer in Deutschland ist hier gemäß Statista der Großkonzern Rügenwalder Mühle. Wenn der klimabewusste Kunde hier veganen Fleischersatz kauft, sorgt er gleichzeitig für gute Umsätze bei einem Unternehmen, das vorwiegend konventionelle Wurstwaren aus Massentierhaltung herstellt.
Deutschland, die Wurstnation
Den angenommenen Fleischverzicht kann der Bundesverbandes der Deutschen Fleischwarenindustrie so nicht bestätigen. Eine Zahl ist dabei besonders überraschend: "Im Fleischbereich steigen die Verkaufszahlen - insbesondere bei den jungen Konsumenten", sagt Geschäftsführer Thomas Vogelsang. Bauch und Kopf scheinen im Supermarkt nicht ganz einer Meinung zu sein: "Viele Verbraucher äußern bei Umfragen das eine, und kaufen anschließend was anderes", erklärt er die Widersprüche.
Das Verbraucherverhalten würde sich so schnell nicht ändern. "Das ist wie ein Dampfschiff - das ändert seine Richtung nur sehr langsam", meint Vogelsang. Außerdem komme es immer auf die Perspektive an. Trend seien nämlich zeitgleich auch das trocken gereifte Premiumfleisch "Dry Aged Beef" oder Burger-Läden, wie sie in deutschen Großstädten kontinuierlich aus dem Boden sprießen. "Schauen Sie sich mal im Baumarkt um, da ist ein Grill größer als der andere. Ein Riesen-Grill, der zwei Zentner Fleisch bewältigen könnte und die ganze Terrasse einnimmt, ist heutzutage Status-Symbol."
Wie nun das Klima schützen?
Es ist also kompliziert. Klimaforscher mahnen Konsumenten weiterhin eindringlich zu kritischem Einkaufen und drängen auf Fleischverzicht. So ist in einer Studie der britischen Oxford Universität zu lesen: Ein Viertel der globalen Treibhausgas-Emissionen wird von der Lebensmittelproduktion verursacht, davon gehen 80 Prozent auf das Konto der Tierhaltung.
Der Lebensstil eines Deutschen produziert im Jahr elf Tonnen CO2, bei rein pflanzlicher Ernährung sollen es nur noch neun Tonnen sein: "Eine vegane Ernährung ist der wahrscheinlich größte Hebel, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern", sagte Oxford-Wissenschaftler Joseph Poore im Nachrichtenmagazin "Spiegel". "Es bringt viel mehr, als ein Elektroauto zu kaufen oder weniger zu fliegen."
Auch der aktuelle Sonderbericht des Weltklimarates IPCC empfiehlt, den Fleischkonsum stark zu reduzieren. Dabei geht es gar nicht darum, sich grundsätzlich zu verbiegen. "Wir müssen nicht komplett auf tierische Produkte verzichten, aber wir müssen zum Prinzip des Sonntagsbratens zurück", sagt Alexander Popp, Forscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Mitautor des IPCC-Berichts. So habe sich die weltweite Fleischproduktion pro Kopf mehr als verdoppelt. Ebenso frappierend: Die Verschwendung von Lebensmitteln. So würden bis zu 30 Prozent aller weltweit produzierten Lebensmittel auf dem Müll landen.
Die Nutzung der Erde zur Ernährung der Weltbevölkerung ist aus den Fugen geraten. Die Forscher des IPCC-Berichtes raten dringend zu einer nachhaltigeren und schonenden Nutzung der immer knapper werdenden Flächen - dazu zählen nicht nur Tierhaltung, sondern auch beispielsweise Avocado-Monokulturen.
Die Entscheidung, was gut für Magen UND Klima ist, kann nicht von der Lebensmittelindustrie, einem veganen Siegel oder dem Lifestyle-Trend entschieden werden. Dreifach plastikverpackte Veggie-Burger, die nur mit der Raffinesse der Lebensmittelchemie irgendwie zusammengehalten werden, könnten unter Umständen eine schlechtere Klimabilanz haben, als das Wildfleisch vom Wochenmarkt.