Venezuela: Das verspielte Erbe
23. April 2014Hugo Chávez hatte es geahnt: In einem seiner letzten öffentlichen Auftritte vor seinem Tod hatte er seine Partei und seine Anhänger beschworen, dem "venezolanischen Weg zum Sozialismus" weiter zu folgen. Die Eindringlichkeit der Mahnung und ihre mehrfache Wiederholung zeigten, dass es hier um mehr ging als die in Venezuela übliche Revolutionsrhetorik: Der sterbenskranke Präsident hatte ernsthaft Angst um sein Erbe. Zurecht, wie wir heute wissen.
Vom Revolutionsmodell zum Repressionsapparat
Am Ostersonntag hatte der Papst nicht nur Frieden für Syrien, die Ukraine und die Zentralafrikanische Republik gefordert: Auch Venezuela stand auf der Liste des Heiligen Vaters. In der Tat scheint der chavismo gut ein Jahr nach dem Tod seines Begründers auf höheren Beistand angewiesen zu sein, wenn er noch irgendeine Zukunft haben will. Aus dem messianischen Revolutionsmodell des ehemaligen Obersten Hugo Chávez ist ein korrupter Repressionsapparat geworden, der die Gesellschaft auseinandergetrieben und das Land an den Abgrund gewirtschaftet hat.
Das liegt zum großen Teil an Chávez Wunschnachfolger, dem heutigen Präsidenten Nicolás Maduro. Der ehemalige Busfahrer und Außenminister taumelt seit etwas mehr als einem Jahr durch den politischen Alltag - seit ein paar Monaten regiert er am liebsten per Dekret. Eine harte Hand zeigt er vor allem da, wo es am wenigsten angebracht ist: Beim Umgang mit dem politischen Gegner.
Imitator statt Reformer
Maduro wird einer der letzten sein, die begreifen, dass sein Vorbild Chávez ihm Fußstapfen hinterlassen hat, die gleich mehrere Nummern zu groß sind. Stattdessen gibt er den Chávez-Imitator, setzt die kostenintensiven Sozialprogramme fort, verschenkt die Öl- und Gasvorräte des Landes an befreundete Staaten und wettert gegen die USA. Doch Maduro hat weder das Talent noch das Charisma seines Vorgängers. Auch deswegen wird er scheitern.
Natürlich ist es völlig klar, dass es mit dem chavismo so nicht weitergehen konnte: Chávez' Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit hatte einen hohen Preis - auch sein "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" hat keine vernünftige Wirtschaftspolitik nach sich gezogen. Schon in Hugo Chávez' letzten Jahren war die wichtige Ölindustrie marode, die Produktivität im Keller und die Versorgungslage prekär. Sein Nachfolger hatte die Pflicht und die große Chance, die notwendigen Reformen einzuleiten - und hätte damit vielleicht den chavismo retten können.
Weiter Richtung Abgrund
Weil Nicolás Maduro aber falsch macht, was man nur falsch machen kann, hat er Venezuela noch weiter in Richtung Abgrund getrieben. Inzwischen leidet nicht nur die Bevölkerung an der Mangelwirtschaft. Als Maduro kürzlich eine "neue ökonomische Offensive" ankündigte, vergaß er zu erwähnen, dass seine Regierung kein Geld mehr hat, um die Importe vollständig zu bezahlen - keine Kleinigkeit in einem Land, das dreistellige Steigerungsraten bei der Einfuhr von Lebensmitteln verzeichnet.
Es ist nicht zuletzt die Versorgungslage, die zuerst Studenten und dann immer mehr Venezolaner zu Protesten gegen die Regierung auf die Barrikaden getrieben hat. Doch Maduro fällt nichts Besseres ein, als die Demonstranten als "reiche Faschisten" zu beschimpfen, deren Motivation er mit abstrusen Verschwörungstheorien erklärt. Ansonsten überlässt er es der Nationalgarde und bewaffneten Banden, die Protestierer mit Gewalt von der Straße zu schaffen.
Eine Bewegung am Ende?
Der chavismo war noch nie eine homogene Bewegung. Er hat viele verschiedene Strömungen und interne Spannungen. Deswegen ist eine personalisierte Führungsstruktur überlebenswichtig. Selbst die innersten Zirkel zweifeln inzwischen an Maduros Fähigkeit, die Bewegung am Leben zu halten - sogar der deutsche Chefideologe des chavismo, der Soziologe Heinz Dieterich, gibt dem Präsidenten keine Chance mehr.
Immerhin sitzen Regierung und Opposition inzwischen an einem Verhandlungstisch, sorgsam überwacht von internationalen Vermittlern. Noch weiß niemand, ob Maduro Einsicht zeigt und eine echte Lösung will oder ob es sich um einen taktischen Rückzug handelt - eine typische Maßnahme von Hugo Chávez, wenn er in einem Konflikt kurzfristig keinen anderen Ausweg sah. Doch für taktische Spielchen hat Nicolás Maduro eigentlich keine Zeit. Er muss jetzt möglichst viele Probleme möglichst schnell lösen.
Nachdem er Maduro zum Wunsch-Nachfolger ernannt hatte, erklärte Hugo Chávez, die Republik und die Revolution seien in guten Händen. Für wie lange, sagte er nicht.