Showdown in Caracas
19. April 2017Das Wort vom Bürgerkrieg in Venezuela macht die Runde. Nach einer heißen Karwoche mit sechs Toten und Dutzenden Verletzten bei Protesten gegen die Regierung hat die Opposition zur "Mutter aller Demonstrationen" aufgerufen: Am 19. April 2017 soll das Volk gegen die Regierung von Nicolás Maduro im ganzen Land auf die Straße gehen.
Ein Datum mit Symbolkraft
Das Datum ist nicht zufällig gewählt. Der 19. April 1810 markiert den Beginn der venezolanischen Unabhängigkeitsbewegung gegen die spanische Krone. Die Revolte in Caracas mündete in einen jahrelangen Bruderkrieg zwischen europäischen und amerikanischen Spaniern, an dessen Ende das spanische Südamerika unabhängig war. Anführer der kreolischen Truppen war der bis heute allgegenwärtige "Libertador" Simón Bolívar, auf den sich auch die Chavisten mit ihrer "Bolivarischen Revolution" berufen.
Undenkbar also, dass die Regierung an diesem nationalen Feiertag die Straßen der Hauptstadt der Opposition überlässt. Also hat sie ihre Anhänger zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Dass auch die heutigen Machthaber in Caracas nicht vor einem Bürgerkrieg zurückschrecken, haben sie mehrfach durchblicken lassen.
Eine Million Zivilisten bewaffnen
Am Ostermontag verkündete PSUV-Präsident Nicolás Maduro, er wolle den Ausbau der "Bolivarischen Miliz" vorantreiben. Bisher umfasse die regierungsgesteuerte Bürgerwehr knapp 500.000 Mitglieder, sagte Maduro im nationalen Fernsehen, bald schon soll es eine Million sein. Außerdem plane er, jeden einzelnen Milizionär mit einem Gewehr auszurüsten.
Juristen bezweifeln, dass es solch eine Einheit überhaupt geben darf. Für José Ignacio Hernández von der Zentraluniversität Venezuelas in Caracas ist es schlicht verfassungswidrig, Zivilisten mit Waffen auszurüsten, da nur Staatsvertreter Waffen tragen dürfen. Doch die Regierung beruft sich darauf, dass die "Bolivarische Miliz" eine Art Freiwilligen-Division sei, die den Nationalen Streitkräften unterstehe.
Regierungstreue Paramilitärs
Allerdings gehören der Bürgerwehr - Propagandafilmen nach zu urteilen - auch Frauen und Männer an, die bei der Armee wohl schon pensioniert worden wären. Zudem ist sie nicht die einzige bewaffnete Gruppe, die laut Regierung "für das Vaterland arbeitet": Die sogenannten Colectivos sind offiziell zivile Organisationen, die im Sinne der Regierungspartei soziale Aufgaben übernehmen.
Zu diesen Aufgaben kann aber auch der Schutz vor Verbrechern gehören, was ihre Bewaffnung rechtfertigt. De facto gehen unter diesem Label aber auch Schlägertrupps gewaltsam gegen Oppositionelle vor. Das stellte Human Rights Watch schon in einer Studie zu den Protesten 2014 fest, bei denen 43 Menschen ums Leben kamen: "Die Antwort von offiziellen Sicherheitskräften reicht von Duldung und Unterlassung bis hin zu direkter Zusammenarbeit", heißt es darin. "In einigen Fällen waren Sicherheitskräfte präsent, als bewaffnete Gangs Demonstranten attackierten, taten aber nichts um die Opfer zu schützen. Stattdessen, standen sie tatenlos daneben oder verließen den Ort kurz bevor die regierungstreuen Gangs angriffen."
Die Mutter aller Demonstrationen
Der Kardinal von Caracas Jorge Urosa Savino forderte die Regierung an diesem Ostersonntag auf, den Colectivos endlich die Unterstützung zu entziehen und ihre Mitglieder vor Gericht zu stellen. Denn auch bei den Protesten der vergangenen Woche sollen sie Demonstranten attackiert und den Gewaltausbruch möglicherweise ausgelöst haben.
Klaus Bodemer vom Hamburger GIGA-Institut macht aber auch die offiziellen Sicherheitskräfte direkt verantwortlich: "Die brutale Repression der Polizei schürt die Aggression der Demonstranten." Damit wachse die Gefahr einer Spirale der Gewalt zwischen chavistischen Colectivos einerseits und gewaltbereiten Demonstranten mit Molotov-Cocktails andererseits. "Alles deutet darauf hin, dass sich die Gemüter weiter erhitzen", sagt Bodemer.
Das befürchtet auch Stefan Peters von der Universität Kassel: "Die Möglichkeit ernsthafter Zusammenstöße hängt wie ein Damoklesschwert über dem 19. April", sagt der Politologe. An einen Bürgerkrieg glaubt er jedoch nicht: "Einem Großteil der Opposition ist klar, dass die in einem Szenario extremer politischer Gewalt nicht gewinnen kann, und die Regierung weiß, dass sie jeglichen inneren und äußeren Rückhalt verliert, wenn es richtig schlimm wird."