Opposition wittert Staatsstreich
2. April 2017Das von der Opposition dominierte Parlament bekommt zwar seine Kompetenzen zurück. Allerdings hatte Präsident Nicolás Maduro zuletzt ohnehin mit Dekreten regiert - und der Gerichtshof viele Parlamentsentscheidungen annulliert. Die Opposition sieht daher in der Rücknahme der Parlaments-Entmachtung nur eine kosmetische Korrektur, um einen "Staatsstreich" auf Raten zu kaschieren. "Das Urteil war nur der Höhepunkt eines Staatsstreichs, der seit Monaten und Jahren in Venezuela im Gange ist", sagte Parlamentspräsident Julio Borges auf einer Demonstration in Caracas. Tausende forderten ein Ende der Präsidentschaft Maduros und vorgezogene Neuwahlen. Sicherheitskräfte trieben die Menge schließlich mit Tränengas auseinander.
NGOs fordern Rücktritt der Obersten Richter
Der ungewöhnliche Vorgang eines Zurückruderns zeugt auch von Rissen im Machtapparat der seit 1999 regierenden Sozialisten. Die rechtsgerichtete Opposition hatte angeprangert, die Urteile des Obersten Gerichtes zur Entmachtung des Parlaments würden den Weg in Richtung Diktatur ebnen. Ein Zusammenschluss von 51 Nichtregierungsorganisationen hat unterdessen die Richter des Obersten Gerichtes zum Rücktritt aufgefordert. Das Gericht habe einen schweren Verstoß gegen die Verfassung begangen. Die Unterzeichner forden eine Aufhebung des Ausnahmezustandes, der es dem sozialistischen Präsidenten Maduro erlaube, mit Hilfe von Sonderdekreten am Parlament vorbei zu regieren.
Proteste wegen massiver Versorgungsengpässe
Das Land mit den größten Ölreserven der Welt ist unter Maduro in eine dramatische Versorgungskrise gerutscht. Die Inflation ist die höchste der Welt. Maduro macht für den Mangel an Lebensmitteln, Brot und Medikamenten einen "Wirtschaftskrieg" des Auslands verantwortlich. Auch für den niedrigen Ölpreis sei das Ausland verantwortlich. Er bat zuletzt sogar die Vereinten Nationen um die Lieferung von Medizin. Wegen der Geldentwertung des Bolívar können in Dollar und Euro abgerechnete Importe kaum noch bezahlt werden. Im Zusammenhang mit den Versorgungsengpässen gab es bereits mehrfach schwere Unruhen und Plünderungen. Bei Protesten wurden zahlreiche Menschen getötet.
Die Opposition hatte die Parlamentswahl im Dezember 2015 mit einer Zweidrittel Mehrheit klar gewonnen. Maduro regiert seitdem mit Notverordnungen. Der Ausnahmezustand, der Maduro Sondervollmachten gibt, wurde 2016 verhängt. Regulär endet Maduros Mandat im Dezember 2018.
Weiterer Versuch an der Macht zu bleiben
Der von den Sozialisten kontrollierte Gerichtshof hatte am Mittwoch der Nationalversammlung ihre Kompetenzen entzogen und auf sich selbst übertragen. Außerdem hob das Gericht einen Tag zuvor bereits die Immunität der Abgeordneten auf. Das Gericht hatte dem Parlament Respektlosigkeit und unzureichende Zusammenarbeit mit den anderen Staatsgewalten vorgeworfen. Das Parlament nannte das einen "Staatsstreich" und sah Maduro als Treiber für die Entscheidung.
Als Folge des Urteils hätte der auch in den eigenen Reihen umstrittene Nachfolger des 2013 verstorbenen Hugo Chávez eine enorme Machtfülle bekommen. Zunächst hatte der 54-jährige Maduro das Urteil verteidigt: "Die Revolution wird sich konsolidieren." Er bezeichnete die Opposition als "rechte Putschisten", die schon Champagner kaltgestellt hätten.
Die südamerikanische Wirtschaftsunion Mercosur, die Venezuelas Mitgliedschaft bereits im Dezember vorübergehend ausgesetzt hatte, verurteilte in einer Dringlichkeitssitzung der Außenminister Brasiliens, Argentiniens, Paraguays und Uruguays den "Bruch der demokratischen Ordnung" und forderte die vollständige Achtung der Gewaltenteilung und einen Fahrplan für Wahlen. Diesen Sonntag soll ein Krisentreffen stattfinden. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) will am Montag über die Lage in Venezuela beraten.
as/qu (dpa, afp, ape)