Venezuelas Oppositionsführer Guaidó greift an
8. Januar 2020"Wir wollen Venezuela zurückgewinnen, verdammt", rief der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó, als er sich an den mit Helmen und Schutzschildern ausgerüsteten Militärs vorbeidrängte. Schwer bewaffnete Nationalgardisten hatten sich vor dem Parlament aufgebaut und alle Zugänge abgeriegelt. Soldaten griffen einige Parlamentarier gewaltsam an und gingen auch mit Tränengas gegen sie vor. Schließlich stürmten die Abgeordneten die Eingangstür der Nationalversammlung, und die bewaffneten Einheiten zogen sich zurück.
Anschließend legte Guaidó lzum zweiten Mal nach Sonntag den Amtseid ab, dieses Mal im Plenarsaal. Die Abgeordneten sorgten mit ihren Smartphones für Licht - im Saal war zuvor der Strom abgeschaltet worden. Auf Twitter schrieb der Parlamentspräsident: "Wir konnten das Gebäude betreten, um unsere Pflicht zu erfüllen, nicht mit Gewalt, sondern mit der Kraft der Vernunft und der Mehrheit."
Von Verteidigungsminister Wladimir Padrino verlangte der Interimspräsident eine Erklärung wegen des gewaltsamen Vorgehens der Nationalgarde.
Vor Journalisten in Caracas rief Guaidó zu dreitägigen Straßenprotesten gegen den amtierenden Staatschef Nicolás Maduro auf, die am Donnerstag beginnen sollten. "Es ist Zeit, mit Gewalt aufzustehen", sagte er vor Journalisten. Am kommenden Dienstag wolle er in den Nationalkongress zurückkehren, fügte der 36-Jährige hinzu.
Am Sonntag hatten sich ähnliche Szenen vor der Nationalversammlung abgespielt. Doch da war es Guaidó und den Abgeordneten nicht gelungen, ins Gebäude zu gelangen. Im Parlament wählten die Vertreter der Sozialistischen Einheitspartei von Maduro und Abtrünnige der Opposition Luis Parra zum Parlamentspräsidenten. Guaidó und seine Anhänger wichen auf das Gebäude einer Zeitung aus und bestimmten dort den Oppositionschef wieder zum Präsidenten der Nationalversammlung. Er erhielt nach eigenen Angaben rund 100 Stimmen und damit die Mehrheit der 167 Mandate im Nationalkongress. Die Opposition stellt in dem von Maduro weitgehend entmachteten Parlament etwa Zweidrittel der Abgeordneten.
Vor knapp einem Jahr hatte sich Guaidó zum Interimspräsidenten in Venezuela ausgerufen und wird inzwischen von mehr als 50 Staaten anerkannt, darunter sind die USA und viele EU-Länder. Maduro weiß Staaten wie Kuba, Russland und die Türkei hinter sich. Der größte Machtfaktor des 57-Jährigen ist das Militär, das nach wie vor mehrheitlich loyal zu ihm steht.
se/wa (dpa, epd, afp, rtr)