"EU muss Umdenken"
16. Oktober 2012Deutsche Welle: Die EU ist einer der größten Exporteure von Nahrungsmitteln, viele Agrargüter werden zu subventionierten Preisen in Entwicklungsländer exportiert. Welche Folgen hat das für die lokalen Märkte?
Ulrich Post: Die EU ist der größte Importeur und der größte Exporteur von Nahrungsmitteln und sie hat angefangen in den 60er, 70er Jahren, auch noch später in den 80er Jahren, ihre Exporte in Entwicklungsländer zu subventionieren. Davon rückt sie jetzt allmählich ab. Die berüchtigten Agrarexportsubventionen sind nicht mehr so hoch, wie sie es mal waren. Sie liegen jetzt bei etwa 650 Millionen Euro pro Jahr. Was aber genauso schwer wiegt, sind die direkten Zahlungen an die Nahrungsmittelproduzenten, die in der Regel an Bauern in Europa gehen. Das sind immerhin noch fast 39 Milliarden Euro, allein in Deutschland bekommen sie 5,5 Milliarden Euro. Und das heißt, unsere Bauern können zu günstigeren Preisen produzieren als Bauern in Entwicklungsländern. Wenn sie also Waren exportieren, was sie in großem Stil tun, dann verdrängen sie die einheimischen Produzenten vom Markt. Diese haben keine Chance, zu solchen Preisen selber zu produzieren.
Können Sie da mal ein konkretes Beispiel nennen?
Ja, es gibt zwei Bespiele, die besonders bekannt sind. Das eine sind die Exporte von Geflügel nach Westafrika. Es gibt bestimmte Teile von Geflügel, die in Europa nicht so nachgefragt sind, nämlich die Flügel. Diese werden in der Tat oder wurden lange Jahre mit Agrarexportsubventionen unterstützt und haben in Westafrika dazu beigetragen, den kleinen Bauern, die Hühner züchten, das Leben schwer zumachen, Die Preise waren einfach konkurrenzlos niedrig. Es gibt auch noch Fälle von subventioniertem Milchpulver, das nach Bangladesch exportiert wird. Dort kann man zu so niedrigen Preisen keine eigene Milch produzieren.
Sie haben es eben erwähnt: Die Agrarexportsubventionen sind nicht mehr so hoch wie sie mal waren. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hat sich auf EU-Ebene für die Abschaffung eingesetzt. Welche Rolle spielt denn Deutschland in diesem Zusammenhang?
Meinen Beobachtungen zufolge ist Deutschland auch nicht grade die Spitze des Fortschritts, sondern ein harscher Vertreter der Interessen konventioneller Landwirtschaft und der Bauern. Natürlich gibt es in Europa noch viel weniger beweglichere Regierungen, wie Frankreich. Der EU-Agrarhaushalt beläuft sich auf 58 Milliarden Euro. Das ist der größte Einzelhaushalt innerhalb der Europäischen Union. Das bedeutet, dass es da einiges zu verteilen gibt und da möchten alle 27 Regierungen von profitieren.
Wie verträgt sich denn überhaupt das Menschenrecht auf Nahrung mit der EU-Agrarsubventionspolitik?
Unserer Einschätzung nach ist es so, dass die Europäische Union bei ihrer Agrarpolitik die Folgen nicht mit bedenkt: Kleineren Bauern in Entwicklungsländern wird die Möglichkeit genommen, selber zu produzieren. Insofern ist das eine Verletzung des Rechts auf Nahrung, die die Europäische Union hinnimmt. Deswegen ist es umso wichtiger, dass bei der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, die ab 2014 losgeht, die Folgen der Politik für Hunger und Armut, bedacht werden. Das ist im Moment noch nicht geplant.
Aber kann das denn sein, dass die EU tatsächlich solche gravierenden Folgen für die lokalen Bauern vor Ort wirklich nicht beachtet?
Ich würde nicht behaupten, dass sie sie wünscht und fördert, aber ich glaube, dass die Lobbyinteressen im Agrarbereich so stark sind, dass sie sich durchgesetzt haben gegenüber den Interessen von Nichtregierungsorganisationen zum Beispiel.
Die EU ist ja diesjähriger Friedensnobelpreisträger. Ist der Preis vor diesem Hintergrund gerechtfertigt?
Es schlagen immer zwei Herzen in einer Brust. Auf der einen Seite finde ich die Europäische Union nach wie vor ein tolles Beispiel dafür, wie eine Region friedlich miteinander umgehen kann. Ich wünschte mir eine ähnliche Entwicklung in vielen anderen Teilen dieser Welt. Trotzdem müssen wir die negativen Seiten der Politik der Europäischen Union weiter kritisieren. Immerhin haben wir die Möglichkeit, uns hier auf die Straße zu stellen und Missstände anzusprechen. In vielen anderen Teilen der Welt ist das nicht einmal möglich.
Kommt man denn gegen eine so starke Lobby an?
Wenn ich überlege, wie viele Lobbyvertreter die deutsche und die europäische Düngemittelindustrie in Brüssel haben und sehe, mit wie vielen Vertretern von Nichtregierungsorganisationen wir dort sitzen, dann kann ich eigentlich nur verzweifeln. Aber ich hoffe immer noch ein bisschen auf die Kraft des Arguments, aber auch der Emotion. Ich glaube, dass wir viele Menschen für uns gewinnen können, wenn wir es schaffen, die Folgen der EU-Agrarpolitik zu emotionalisieren.
VENRO ist ein freiwilliger Zusammenschluss von rund 120 deutschen Nichtregierungsorganisationen, die bundesweit tätig sind. Ulrich Post ist der Vorsitzende von VENRO.