Auftrieb für Nationalisten
29. Juni 2012Zwei Monate nach der Parlamentswahl in Serbien wird der 46-jährige Sozialist Ivica Dacic zum Regierungschef ernannt. Staatspräsident Tomislav Nikolic hat ihn damit beauftragt, so schnell wie möglich sein Kabinett zu bilden.
Die politische Karriere von Dacic begann schon früh: 1990 übernahm er als damals 24-Jähriger die Jugendorganisation der Ex-Kommunisten - die Jungen Sozialisten. In den 90-er Jahren stand er Slobodan Milosevic als enger Mitarbeiter bei. Als Pressesprecher des Gewaltherrschers verteidigte er den Bürgerkrieg und verbreitete nationalistische Parolen. Als Milosevic im Oktober 2000 stürzte, schien Dacics politische Karriere beendet – doch jetzt ist er der neue Premier Serbiens.
Auftrieb für nationalistische Kräfte
"Die Regierungsbildung in Serbien unter Präsident Tomislav Nikolic bestärkt alle Befürchtungen über einen demokratischen Rückschritt des Landes nach den Wahlen", sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete und Balkan-Expertin Uta Zapf. "Die nationalistischen und sogar reaktionären Kräfte erhalten damit Auftrieb – am Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld. Welch fataler Symbolismus!"
Denn seinen Auftrag zur Regierungsbildung hat Ivica Dacic am 28. Juni erhalten, dem Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld, bei der 1389 eine Koalition balkanischer Truppen von den Heeren des Osmanischen Reichs besiegt wurde. Am 28. Juni 1989 hatte Milosevici zum 600. Jahrestag dieser Schlacht indirekt mit neuen Kriegen gedroht, falls sich die anderen Völker Jugoslawiens seiner Vorherrschaft nicht unterwerfen würden. Seine berüchtigte Rede hielt er auf dem Amselfeld, in der Nähe der kosovarischen Hauptstadt Pristina.
Verhärtung der Positionen im Kosovo-Konflikt
Im Verhältnis der Regierung in Belgrad zur ehemaligen serbischen Provinz Kosovo sei durch die neuen Machthaber "eine Verhärtung der Positionen zu befürchten", warnt Johanna Deimel, stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft. "Der neue Ministerpräsident Dacic hat ebenso wie Präsident Tomislav Nikolic eine Teilung des Kosovo als annehmbare Lösung präsentiert – eine Option, welche die EU, die USA und Staaten, die die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen, kategorisch ablehnen." Für die gesamte Balkan-Region bedeute die Ernennung Dacics zum Ministerpräsidenten "nichts Gutes".
Der Berufspolitiker Dacic übernahm die Parteiführung der serbischen Sozialisten (SPS) im Jahr 2006, nachdem Milosevic während des Prozesses im UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag an einem Herzinfarkt gestorben war. Unter der Regierung der Demokratischen Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Boris Tadic war Dacic unter anderem Innenminister und Vizeregierungschef. Bei den diesjährigen Wahlen waren die Sozialisten von Dacic besonders erfolgreich und wurden zur drittstärksten politischen Kraft in Serbien. Der ehemalige Mitstreiter Milosevics wendete sich von den Demokraten ab und entschied sich zu einer Koalition mit der nationalistischen SNS-Partei des Staatspräsidenten Nikolic.
Was wird aus dem EU-Kurs Serbiens?
Eine besorgniserregende Entwicklung, meint Balkan-Expertin Johanna Deimel. Die Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf die Bürgerkriege der 90er Jahre sei für diese Politiker überhaupt kein Thema. Außerdem sei zu befürchten, "dass die EU-Annäherung und der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen durch einen nationalistischen Grundton der neuen Regierung gravierend ins Stocken geraten."
Serbien hat seit März den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Diesen Kurs werde die Regierung in Belgrad auch fortsetzen, meint Rainer Stinner, Vorsitzender des Arbeitskreises für internationale Politik und außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Die pro-europäische Orientierung werde auch von der Mehrheit der serbischen Bevölkerung unterstützt, betont Stinner: "Die Bedingungen für die Annäherung an die EU sind jedem serbischen Politiker bekannt – auch Ivica Dacic. Ich gehe davon aus, dass keine serbische Regierung diesen Konsens in Politik und Gesellschaft aufkündigt und damit die eigene Mehrheitsfähigkeit verspielt."
Doch in Bezug auf die EU hat Dacic den Medien gegenüber in der Vergangenheit harte Worte gefunden: Er sprach davon, dass sein Land den immer neuen "Erpressungen und Ultimaten Brüssels" nicht nachgeben solle.