Corona-Demo: "Jetzt erst recht"
27. August 2020Etwa zehn Zelte ducken sich ins feuchte Gras, die meisten Eingänge sind wegen der kühlen Witterung geschlossen. Vor der kleinen Zeltstadt sitzen in einem geräumigen weißen Pavillon ein paar Menschen beisammen, unterhalten sich, lachen, trinken Tee. An einer Wäscheleine zwischen zwei Bäumen baumelt ein regennasses T-Shirt und trocknet. Es wirkt wie eine Camping-Szene irgendwo in Deutschland.
Aber die Szene spielt sich nicht irgendwo ab, sondern mitten im Berliner Regierungsviertel. Hier, 500 Meter Luftlinie vom Reichstag entfernt, hat die Gruppe "Querdenken Berlin Außenstelle" ihr Lager aufgeschlagen. Sie gehört zu der Stuttgarter Anti-Corona-Initiative "Querdenken 711", die größtenteils von Impfgegnern getragen wird.
Die Zelte sind locker mit rot-weißem Absperrband umspannt, auf dem Boden rundherum liegen laminierte Schilder mit der Aufschrift "Wir fordern das Ende der pandemischen Lage, die Pandemie ist schon lange vorbei!!!"
Vorwurf der politischen Voreingenommenheit
Die Gruppe bereitet sich eigentlich auf eine große Demonstration an diesem Samstag vor. Die wurde allerdings abgesagt. Bereits Anfang August gab es in Berlin eine Großdemonstration gegen die Corona-Auflagen. Rund 20.000 Menschen kamen laut Polizei, eine heterogene Gruppe aus Rechtsradikalen, Verschwörungsideologen, Impfgegnern, aber auch unauffälligen Teilnehmern, demonstrierte unter dem Motto "Tag der Freiheit - das Ende der Pandemie". Während des Protests kam es immer wieder zu Beleidigungen und Angriffen auf Polizei und Pressevertreter, die Stimmung war zeitweise sehr aggressiv. Schließlich löste die Polizei den Protestzug auf, weil Teilnehmer die Corona-Hygieneauflagen missachteten.
Mit Verweis darauf hat der Berliner Innensenator Andreas Geisel auch die aktuelle Absage begründet. Geisel fügte hinzu, er sei "nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird." Die Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl hält diese Aussage für "politisch extrem ungeschickt", da das aktuelle Verbot rechtlich mit der berechtigten Sorge begründet sei, dass Hygienevorschriften missachtet würden. Geisels Aussage sei Wasser auf die Mühlen derjenigen, die behaupteten, die Demonstration werde nur aus politischen Gründen verboten.
Auch zur Demo am Samstag hatten, ähnlich wie bereits Anfang August, verschiedene rechte Akteure im Netz aufgerufen. Darunter die rechtsextreme Identitäre Bewegung, die ebenso radikale Kleinstpartei "Der III. Weg", sowie Rechtsaußen-Mitglieder der AfD und der rechtsextremen NPD.
Keine Unterschrift, kein Interview
Am Zeltlager der Gruppe "Querdenken Berlin Außenstelle" hätte die DW gerne mit Vertretern der Initiative darüber gesprochen, wie sie mit dem Demo-Verbot umgehen. Schon am Eingang verteilt eine Frau lächelnd ein Blatt Papier. Darauf soll Name, Medienhaus und Adresse angegeben und eine Unterschrift unter den Satz gesetzt werden: "Ich verpflichte mich hiermit, wahrheitsgemäß, unparteiisch und vollständig zu berichten" – eigentlich gängige journalistische Standards. Aber ohne Unterschrift, gibt es auch für die DW kein Interview.
Mehrere Szenarien sind möglich
Von dem Berliner Verbot lassen sich viele - zumindest im Netz - scheinbar nicht beeindrucken. In Chatgruppen und in den sozialen Medien ist die Rede vom "Sturm auf Berlin". "Jetzt erst recht", lautet das Motto. Die Berliner Polizei bereitet sich derweil auf mehrere Szenarien vor: "Ob die Demonstration regulär stattfindet oder, ob sie verboten wird und trotzdem Menschen kommen, es wird so oder so eine Herausforderung für die Berliner Polizei", sagt eine Sprecherin.
Noch ist nicht klar, ob das Verbot bestehen bleibt. Die Initiatoren von "Querdenken 711" haben per Pressemitteilung mitgeteilt, dass sie Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht haben. Notfalls wollen sie bis zur letzten Instanz vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Entschieden wird voraussichtlich am Freitag.