Verbotene Klänge im NS-Staat
24. Mai 2013Der "Rassenwahn" der Nationalsozialisten machte auch vor der Musik nicht halt. Die deutsche Musik sollte rein sein, frei von allem "Undeutschen", "Nichtarischen". Um der Bevölkerung diese Zielsetzung vor Augen zu führen, wurde am 24.Mai 1938 - während der ersten Reichsmusiktage in Düsseldorf - die Ausstellung "Entartete Musik. Eine Abrechnung" eröffnet. Alles, was in der musikalischen Kultur des NS-Staates keinen Platz mehr haben sollte, wurde den Besuchern durch Hörbeispiele, Bilder und Texte vorgeführt.
Am Pranger standen Schlager, Operette und atonale Musik, vor allem aber die Musik jüdischer Komponisten und die als "Niggermusik" diffamierte Jazzmusik. Die Ausstellung wurde Ausgangspunkt einer beispiellosen Verfolgungskampagne gegen Musiker und ihre Musik: Keiner der dort verunglimpften Musiker konnte seiner Tätigkeit im NS-Staat weiter nachgehen. Aufführungs- und Berufsverbot waren der Anfang, Verfolgung und Deportation bis hin zur Ermordung das Ende.
Hexensabbath
Eine abschreckende Schau sollte die Ausstellung "Entartete Musik" sein, so wollte es der Hitler-Verehrer Hans Severus Ziegler. Der NSDAP-Funktionär und damalige Intendant am Staatstheater in Weimar hatte die Ausstellung organisiert. In seiner Eröffnungsrede sagte er: "Was in der Ausstellung zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbat dar und ein Abbild arroganter jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung." Schon die Titelseite der Begleitbroschüre zeigte den Besuchern deutlich, worum es Ziegler ging. Eine perfide Karikatur zeigte "Jonny", einen schwarzen Jazzmusiker mit dem "Neger-Instrument" Saxophon, damals einerseits bekannt als Titelfigur in Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf".
Andererseits populär durch Friedrich Hollaenders Chanson "Jonny, wenn du Geburtstag hast", berühmt geworden durch Marlene Dietrichs prickelnd-erotische Interpretation. Jonny wurde nun bei Ziegler als zum Affen mutierter "Neger", mit Judenstern statt Nelke im Knopfloch, zum Aushängeschild der NS-Propaganda und zum Inbegriff für "Entartete Musik".
Jonny spielte zu lang auf
Schon 1930 hatte Ziegler gegen den Jazz gewettert: er verhelfe der "Negerkultur zum Sieg". Kreneks Jazz-Oper "Jonny spielt auf", 1927 in Leipzig mit großem Erfolg uraufgeführt und seitdem an vielen deutschen Theatern inszeniert, war für ihn "verjudete Niggermusik". In der Ausstellungsbroschüre schrieb er: "Ein Volk, das dem 'Jonny‘, der ihm schon zu lange aufspielte, nahezu hysterisch zujubelt, ist seelisch und geistig krank geworden und innerlich wirr und unsauber". Dementsprechend drastisch gestaltete er die Propaganda-Schau.
Einst gefeierte - aber jüdische - Operettenkomponisten wie Emmerich Kálmán, Leo Fall, Paul Abraham oder Leon Jessel, oder auch Starsänger wie Richard Tauber wurden auf Bildtafeln mit verzerrten Gesichtern als "geistig krank" dargestellt. In Ton-Kabinen konnte man die "zersetzenden Kräfte" der Swing- und Jazzmusik mit eigenen Ohren hören. Und Schautafeln polemisierten gegen Arnold Schönberg und seine Schüler, die mit ihrer atonalen Musik die "klassischen Meisterwerke verhöhnt und geheiligte Traditionen missachtet" hätten. Oder gegen Paul Hindemith, der – wie Schönberg - als "Theoretiker der Atonalität" beschimpft wurde.
Das verdächtige Saxophon
Bis zum 14. Juni 1938 war die Schau in Düsseldorf zu sehen, danach noch in Weimar, München und Wien. Der Ausbruch des Krieges 1939 verhinderte weitere Ausstellungsstationen.
Während die Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst" nach 1945 mehrfach rekonstruiert und gezeigt wurde, ist die "Entartete Musik" für lange Zeit in Vergessenheit geraten. Erst 50 Jahre später, 1988, gelang dem Musikwissenschaftler Albrecht Dümling eine kommentierte Rekonstruktion der NS-Schau. Seitdem war die Dokumentation zu Gast in mehr als 40 Ländern wie Israel, den Niederlanden, der Schweiz und unter dem Titel "Banned by the Nazis” auch in den USA.
Neue Forschungsergebnisse zur NS-Musikpolitik und besonders zu den Aspekten Jazz und Operette erlaubten Dümling 2007 eine Erweiterung der Rekonstruktion: Unter dem Titel "Das verdächtige Saxophon. 'Entartete Musik' im NS-Staat" sind seitdem in der Wanderausstellung rund 80 Exponate zu sehen und viele originale Tonbeispiele zu hören – eine beklemmende Dokumentation, die nicht nur zeigt, wie Musik von den Nazis benutzt und Musiker diffamiert wurden. Die kommentierte Rekonstruktion ist zugleich auch ein eindringlicher Appell an die Besucher, wachsam zu bleiben, damit Worte wie "entartet" und "undeutsch" für immer der Vergangenheit angehören.