Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert
30. Mai 2017Mit einer gemeinsamen Erklärung traten neun Organisationen, darunter Pro Asyl, Amnesty International, die Diakonie Deutschland und der Paritätische Gesamtverband, in Berlin vor die Presse. Darin kritisieren sie die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration. Die Organisationen befürchten, dass nach fehlerhaften Asylverfahren abgelehnte Afghanen abgeschoben und dadurch ihr Leben aufs Spiel gesetzt werde. Das Bundesamt hatte vor kurzem nach einer internen Überprüfung zahlreiche fehlerhafte Verfahren eingestehen müssen.
Neue Informationen über die gefährliche Lage in Afghanistan würden in den Verfahren nicht berücksichtigt, rügten die Verbände. Trotz der sich verschlechternden Lage im Land würden hierzulande immer mehr Asylbewerber abgelehnt. Während die Schutzquote für Afghanen vor zwei Jahren noch 78 Prozent und im vergangenen Jahr 60 Prozent betrug, sank sie in diesem Jahr auf 50 Prozent.
Sicherheitslage unberechenbar
Die Verbände bezweifeln, dass es in Afghanistan Fluchtalternativen gibt. Tatsächlich habe sich jedoch der bewaffnete Konflikt mittlerweile über die ursprünglichen Kampfgebiete hinaus ausgeweitet, so dass Menschen "überall Opfer von Kampfhandlungen, Anschlägen und Verfolgung werden können". Dies sei während der derzeit stattfindenden Frühjahrsoffensive der Taliban deutlich zu beobachten. Die Sicherheitslage dort sei so unberechenbar, dass auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen eine Unterscheidung nach sicheren und unsicheren Gebieten ablehne. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und die meisten Bundesländer verweisen hingegen darauf, dass es in Afghanistan sichere Regionen gibt.
Die Verbände betonen in diesem Zusammenhang, Deutschland habe "eine völkerrechtliche Verpflichtung, Asylsuchenden ein faires und sorgfältiges Asylverfahren zu bieten und nicht in Länder abzuschieben, in denen den Menschen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen". Die Organisationen appellieren deswegen gemeinsam an Bund und Länder, Asylgesuche mit der notwendigen Sorgfalt zu prüfen sowie alle Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen.
Nächste Abschiebung steht an
Die Bundesregierung hatte im vergangenen Herbst ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan unterzeichnet, dass die Abschiebung per Sammelcharter erlaubt. Im Dezember 2016 hatte es unter Protesten die erste Rückführung unter Zwang gegeben. Bisher wurden in fünf Sammelflügen 106 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben. Am Donnerstag soll es eine erneute Rückführungsaktion geben. Der Sammelflug werde in Kabul erwartet, bestätigte der Leiter der Empfangsabteilung für Rückkehrer im afghanischen Flüchtlingsministerium. Noch wüssten die afghanischen Behörden nicht, wie viele Menschen an Bord sein werden.
Konfliktforscherin warnt
Nach Ansicht der Konfliktforscherin Nicole Birtsch verschärft sich die Sicherheitslage am Hindukusch weiter. "Auch in Zukunft sehe ich keine Verbesserung der Situation", sagte die Afghanistan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Evangelischen Pressedienst. "Es ist klar: Afghanistan ist kein sicheres Land." Die Zahl an zivilen Opfern sei in den vergangenen Jahren weiter gestiegen, sagte Birtsch. Die Sicherheitslage lasse sich auch an der Anzahl der Binnenflüchtlinge messen: "640.000 Menschen sind im vergangenen Jahr aufgrund des Konfliktes innerhalb des Landes geflohen."
Die Konfliktforscherin räumte ein, dass es sicherlich Gegenden gebe, die in Relation zu anderen weniger umkämpft seien. "Das sind meistens die urbanen Zentren wie Herat, Masar-i-Scharif und Kabul." Allerdings gehe es auch um die Frage der menschlichen oder sozialen Sicherheit, ergänzte die Expertin.
Das große Risiko sei, dass Rückkehrer in Afghanistan kein Netzwerk hätten. Deshalb sei es "viel wichtiger hinzuschauen, welche Strukturen die Flüchtlinge in Afghanistan haben, wo sie leben können", sagte Birtsch. Rückkehrer seien Gefahren ausgesetzt. Es gebe dort eine hohe Kriminalitätsrate. "Wenn Afghanen aus dem Ausland zurückkommen, wird angenommen, dass sie Geld haben." Das mache sie gezielt zu potenziellen Opfern, etwa von Raub oder Entführungen. Zudem liege die Arbeitslosenquote bei über 40 Prozent, es herrsche Armut und viele Jugendliche seien drogenabhängig.
kle/hk (epd, amnesty.de)