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Verfassungsgericht kippt Kieler Wahlrecht

30. August 2010

Bei der Wahl vor knapp einem Jahr errangen CDU und FDP in Schleswig-Holstein eine knappe Mehrheit. Zu Unrecht, wie jetzt das dortige Verfassungsgericht urteilte. Nun gibt es Neuwahlen - und personelle Konsequenzen.

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Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (Foto: AP)
Zu Unrecht im Amt: Ministerpräsident Peter Harry CarstensenBild: AP

Das Landesverfassungsgericht erklärte am Montag (30.08.2010) Teile des Landtagswahlrechts von Schleswig-Holstein für verfassungswidrig. Die Richter ordneten an, dass das Kieler Parlament bis Ende September 2012 neu gewählt werden muss. Regulär hätten die Bürger erst zwei Jahre später, also 2014, wieder über ein neues Landesparlament entscheiden sollen. Außerdem muss das bestehende Wahlrecht geändert werden. Als Reaktion wird Ministerpräsident Peter Harry Carstensen nicht mehr für den CDU-Landesvorsitz kandidieren. Er habe dem Landesvorstand den Fraktionschef Christian von Boetticher als Nachfolger vorgeschlagen, teilte CDU-Landesgeschäftsführer, Daniel Günther, am Montagabend in Kiel mit.

Das Landesverfassungsgericht kritisierte in seim Urteil vor allem, dass der Grundsatz der Wahlgleichheit bei der jüngsten Wahl verletzt worden sei. Bei der Wahl am 27. September 2009 hatten CDU und FDP eine hauchdünne Mehrheit der Mandate im Landtag erhalten, obwohl sie weniger Stimmen als die anderen im Parlament vertretenen Parteien SPD, Grüne, Linke und Südschleswigsche Wählerverbund (SSW) bekamen.

Parteienstreit um Überhangsmandate

Grüne, Linke und SSW fochten deshalb das Wahlergebnis vor dem Landesverfassungsgericht an. Die Oppositionsparteien im Landtag sind der Ansicht, dass durch die Verteilung der so genannten Überhangmandate der Wählerwille verzerrt worden sei. Ohne diese Mandate hätten CDU und FDP keine Mehrheit im Landtag. Zurzeit haben sie einen Sitz mehr als die Opposition.

Karte Bundesland Schleswig-Holstein.
Schleswig-Holstein ist das nördlichste Bundesland DeutschlandsBild: DW

Das Gericht teilte diese Kritik. In der Urteilsbegründung heißt es: "Bei einem vollen Ausgleich der Überhangmandate wäre es zu anderen Mehrheiten im Landtag gekommen". Überhangsmandate sind - wie der Name sagt - zusätzliche Sitze in einem Parlament. Im schleswig-holsteinischen Landtag sitzen derzeit 95 Abgeordnete. Laut Verfassung sollen es aber nur 69 sein. Bis spätestens Ende September 2012 soll der Landtag nun neu gewählt werden. Regulär hätte die Legislaturperiode und damit auch Carstensens Amtszeit bis 2014 gedauert.

Mehr Erst- als Zweitstimmensitze

Überhangmandate sind ein Produkt des in Deutschland verbreiteten so genannten personalisierten Verhältniswahlrechts. Mit der Erststimme wird dabei der Wahlkreiskandidat bestimmt, die Zeitstimme gilt der Landesliste der jeweiligen Partei. Erringt eine Partei in den Wahlkreisen mehr Direktmandate, als ihr durch die Zweitstimmen zustehen, kommt es zu Überhangmandaten.

Zwar erhalten die übrigen Fraktionen so genannte Ausgleichsmandate, damit ihnen kein Nachteil entsteht. Doch die Landeswahlleiterin kompensierte unter Berufung auf eine unklare Vorgabe im Wahlgesetz drei von elf CDU-Überhangmandaten nicht mit Ausgleichsmandaten für die anderen Parteien. Nur so kam die schwarz-gelbe Mehrheit zustande.

Opposition: Neuwahlen so schnell wie möglich

Derzeit haben CDU und FDP lediglich einen Sitz mehr als die Oppositionsparteien. Das amtierende gelb-schwarze Kabinett kann bis zu den Neuwahlen weiter regieren: "Bis zu diesem Zeitpunkt behält der Landtag seine volle Handlungs- und Arbeitsfähigkeit", heißt es in dem Urteil. Das hingegen kritisiert die Opposition: Die Grünen-Landesvorsitzende Marlene Löhr verlangte von der Landesregierung, "die Frist nicht auszuschöpfen und den Weg für Neuwahlen bereits im kommenden Jahr frei zu machen". Auch der Südschleswigsche Wählerverband - eine Partei, die die dänische Minderheit im Lande vertritt - forderte eine Neuwahl des Landtags "so schnell wie möglich".

Die Regierung sieht das jedoch anders: Ministerpräsident Carstensen teilte mit, er wolle das Urteil akzeptieren. Vorerst aber wolle er den Haushalt sanieren. Und der Chef der FDP-Landtagsfraktion, Wolfgang Kubicki, sagte: "Mit der Fristsetzung für Neuwahlen hat das Verfassungsgericht deutlich gemacht, dass ein Zeitdruck nicht besteht."

Autor: Martin Muno (apn, afp dpa, rtr)

Redaktion: Dirk Eckert