Verfassungsschutz schätzte IS falsch ein
10. April 2016Der deutsche Inlandsgeheimdienst hat die Gefahr, dass die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) potenzielle Attentäter als Flüchtlinge ins Land einschleust, nach eigenen Angaben lange unterschätzt. Diese Möglichkeit habe das Bundesamt "für weniger wahrscheinlich" gehalten, sagte sein Präsident Hans-Georg Maaßen der "Welt am Sonntag". Es sei davon ausgegangen worden, dass dem IS das Risiko "viel zu hoch" sei.
"Mittlerweile wissen wir: Was den IS angeht, müssen wir eben auch dazulernen", sagte Maaßen. Obwohl es der IS gar nicht nötig habe, seine Anhänger unter die Flüchtlinge zu mischen, habe er es getan. "Der IS wollte damit ein klares Signal der Stärke aussenden."
"Falsche Identitäten"
Es sei ein großes Problem, dass etwa 70 Prozent der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge keine gültigen Pässe vorlegten, erklärte Maaßen weiter. Sie würden nur aufgrund ihrer eigenen Angaben registriert. "Ich habe die Sorge, dass wir und unsere Partnerdienste in unseren Datenbanken zwar Informationen über gefährliche Personen gespeichert haben. Uns könnte jedoch entgehen, dass sie bei uns sind, weil sie mit falschen Identitäten einreisen."
Maaßen erneuerte seine Warnung vor möglichen Terroranschlägen in Deutschland. "Der IS will auch Anschläge gegen Deutschland und deutsche Interessen durchführen. Dazu wird in der Propaganda ausdrücklich aufgerufen. "Deutsche Städte werden in einem Zusammenhang mit anderen Metropolen wie Paris, London oder Brüssel genannt." Der Verfassungsschutz halte die Sicherheitslage für "sehr ernst". Es lägen jedoch derzeit keine Erkenntnisse über konkrete Pläne für Terroranschläge in der Bundesrepublik vor.
Das islamistisch-terroristische Potenzial in Deutschland umfasst nach Einschätzung von Maaßen derzeit etwa 1100 Menschen. "Zudem verzeichnen wir 8650 Salafisten", sagte der Verfassungsschutzpräsident. "Die Zahl steigt praktisch täglich."
Islamisten versuchten auch, Flüchtlinge für sich zu gewinnen. So seien bereits rund 300 so genannte Anspracheversuche gezählt worden, sagte Maaßen. "Sorgen machen mir vor allem die vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Diese Gruppe wird gezielt angeworben." Das seien aber nur die gemeldeten Fälle, die tatsächliche Zahl sei viel höher.
"Viele Moscheen fundamentalistisch"
Unter der zunehmenden Zahl arabischsprachiger Moscheen in Deutschland gebe es teilweise radikale Strömungen. "Viele Häuser sind fundamentalistisch geprägt oder aufgrund ihrer salafistischen Ausrichtung gar Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden", sagte Maaßen. Der Bau von Moscheen werde zum Teil durch private Spenden aus Saudi-Arabien gefördert.
Zugleich verwies Maaßen auf die Notwendigkeit, neue Moscheen zu errichten. Vor allem bei den jungen Flüchtlingen sehe er einen "immensen Bedarf", in eine religiöse Umgebung zu gelangen, die verfassungskonform sei. "Der Bau einer Moschee gehört zum Grundrecht auf freie Religionsausübung", betonte Maaßen. Für Proteste gegen den Bau einer Moschee habe er kein Verständnis. "Aber Fakt ist, dass Menschen diese Sorgen haben", so der oberste Verfassungsschützer. Er appellierte an Politik und Gesellschaft, für eine funktionierende moderate Moscheenlandschaft zu sorgen, damit solche Sorgen nicht begründet seien.
stu/djo (afp, dpa, kna, rtr)