"Verfehlung" im Kino - Zwischen Gewissen und Vertuschung
26. März 2015Es sind drei Priester, die der Regisseur uns vorstellt. Jakob, Dominik und Oliver sind aber auch gute Freunde. Da platzt plötzlich die Bombe: Dominik wird des Kindesmissbrauchs verdächtigt. Wie gehen die drei jungen Priester nun damit um? Dies zeigt Gerd Schneider in seinem Debütfilm, der an diesem Donnerstag (26.3.) in den Kinos anläuft und für den er bereits Preise bei mehreren Festivals erhielt. Völlig zu Recht, denn "Verfehlung" ist wohl der eindringlichste deutsche Kinofilm zum Thema Missbrauch innerhalb der Katholischen Kirche bisher. Wir sprachen mit dem Regisseur, der vor seinem Filmstudium Theologie studiert hat.
Deutsche Welle: Was hat Sie zu "Verfehlung" inspiriert? Warum haben Sie sich in Ihrem ersten Film gerade mit diesem Thema beschäftigt?
Gerd Schneider: Das ist ja schon eine Weile her. Zu Beginn des Jahrtausends war das Thema in Deutschland noch nicht so wahnsinnig aktuell. In den USA gab es damals große Aufregung wegen der Aufdeckung von Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche, vor allem auch wegen der Vertuschungen. Damals haben die deutschen Bischöfe noch gelacht. Sie wähnten sich sicher und dachten, das kann hier nicht passieren. Nicht, weil sie irgendwas vertuschen wollten, sondern weil sie nicht dachten, dass das in dem Ausmaß hier stattgefunden haben könnte. 2006 ging das dann auch hier langsam los.
Damals war ich bei einer Filmproduktion als Second Unit-Regisseur. Da war plötzlich diese Idee, da war ein Bild von Jemand, einem Gefängnisseelsorger, der den eigenen Kollegen, einen Freund, im Gefängnis sitzen hat. Wie soll er damit umgehen? Wie mit bestimmten Wahrheiten umgehen? Das hat mich gepackt. Ich stand vor der Wahl: Welche Geschichte erzähle ich in meinem Debüt, meinem ersten Langfilm? Das ist für jeden Filmemacher ja das A und O: Welche Geschichte kann man erzählen, die trägt, die packt? Ich wollte etwas mit Substanz machen.
In Ihrem Film geht es ja eher um das Thema Vertuschung als um den eigentlichen Missbrauch. Warum war Ihnen gerade das wichtig?
Ganz genau. Ich wollte keinen Film machen, bei dem man plötzlich sagt: 'Huch, hier ist ein fauler Apfel, was machen wir denn jetzt?' Das Thema ist ja bekannt und nicht erst seit gestern. Mir war es wichtig, den Umgang oder besser: den Nicht-Umgang oder auch den unterschiedlichen Umgang innerhalb der Katholischen Kirche zu zeigen. Ich wollte keinen Film machen über Täter oder Opfer oder über den Missbrauch an sich. Der ist schlimm, ganz klar - aber das passiert in Familien viel mehr. Auch in geschlossenen Systemen wie Schule, Internat, ob die jetzt christlich geführt sind oder nicht, auch in Kasernen, bei Sportvereinen, beim Fußball. Mittlerweile wird ja Gott sei Dank viel darüber diskutiert.
Zwischen moralischem Anspruch und Wirklichkeit
Der Anspruch der Katholischen Kirche an den Glauben, an Moral und Ethik auf der einen Seite und dann plötzlich auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass so etwas in den eigenen Reihen stattgefunden hat - das hat mich interessiert. Dass man glaubt, die christliche Botschaft, den Glauben unbedingt schützen zu müssen, in dem man die Dinge hinter der Hand ablaufen lässt: Das ist für mich der Aufreger.
Mir ging es darum, zu zeigen, dass jemand, der innerhalb des Systems als Katholischer Priester steht, einer, der eigentlich das moralische Rüstzeug in der Hand hat, in die Situation kommt, dass ein enger Freund und Kollege betroffen ist. Wenn man also 15 Jahre im Beruf ist und feststellen muss, dass man eigentlich nur noch in diesen Bahnen denken kann, wie bei allen absolutistisch geschlossenen Systemen, wo sehr hierarisch gedacht wird.
Was macht die drei im Film dargestellten Priester aus? Ist es die Frage, nach welchen Leitlinien sie sich ausrichten?
Ja, das kann man grob so umreißen. Es ist eine Loyalitätsfrage der Kirche, den Freunden, aber vor allen Dingen dem eigenen Gewissen gegenüber. Die oberste Instanz für einen gläubigen Christen ist das "gebildete Gewissen", nicht der Papst! Voraussetzung ist, man hat sein Gewissen bilden können, also, es hat einen jemand angeleitet. Oder man trainiert das eigene Gewissen, man arbeitet an sich und an dem Konflikt, in den man geraten ist.
Es ist also ein Drama im besten Sinne, weil es einfach der Gewissenkonflikt ist: Wie entscheidet man sich? Das eine ist mein Leben, dem ich Jahre gewidmet habe und das andere ist das Leben von jemand anderem oder von mehreren Personen, die in arge Mitleidenschaft gezogen worden sind. In dieser Frage integer zu sein, nicht nur dem Gesetz nach, sondern loyal dem Gewissen und auch dem Glauben und der Botschaft gegenüber, das macht den Konflikt aus. Da gehen alle drei Hauptcharaktere sehr unterschiedlich mit um.
Weg vom Klischeebild des Priesters
Inwiefern war es Ihnen wichtig, die drei Charaktere im Film mit Licht und Schatten zu zeigen?
Es war mir wichtig dieses "Klischeebild Priester" zu entrümpeln. Das ist ja witzlos, was diesbezüglich in Film und Fernsehen gezeigt wird. Entweder ist es die dicke Witzfigur, die nur Kriminalfälle löst oder es ist die sinistere Gestalt, die zu irgendeinem Weltendende ein Geheimnis aus dem Schrank holt. Das ist Tinnef. So sieht der moderne Priesterberuf nicht aus. Deswegen habe ich auch drei Männer genommen, die das ausstrahlen, die nichts Nerdiges an sich haben.
Welche Rolle spielt in solchen Fällen der Zölibat?
Der spielt keine Rolle. Ich sehe ihn zwar auch äußerst kritisch, weil es eine merkwürdige Form ist, mit seiner Natur umzugehen - vorausgesetzt man kennt seine Natur. Es gibt viele religiöse Gemeinschaften, die zölibatär leben. Das ist schon seit Jahrtausenden so, das ist keine katholische Erfindung. Aber ich werfe der Katholischen Kirche vor, dass man bestimmte Dinge nicht wissen will, dass sich die Leute nicht damit auseinandersetzten.
Der Anteil der Homosexuellen in der Katholischen Kirche ist hoch, er ist signifikant hoch, höher als im Durchschnitt. Der Anteil von Pädophilen hingegen ist genauso hoch wie in der übrigen Gesellschaft, wenn nicht sogar niedriger. Der Zölibat ist keine Ursache für Missbrauch. Er ist ein begünstigender Umstand, weil diese Leute oft mit Jugendlichen zu tun haben, in einer Drucksituation stecken, in sexuell aufgeladen Situationen, bei Jugendfreizeiten. Da sind junger Priester mehr Kumpel als Respektperson. Man hat ja einen Vertrauensvorschuss. Man ist interessant, auch bei Mädchen. Das ist aber auch so in Schulen, bei Lehrern…
Vertuschung in der Kirche
Sie haben gesagt: Es gibt kein System der Vertuschung, aber die Vertuschung hat systematische Züge. Was genau meinen Sie damit?
Es gibt so Stammtischmeinungen, die sagen, es existieren versteckte Akten, in denen dann drin steht, jeder Priester darf soundso viele Kinder zeugen. Das ist alles Quatsch. Es wird sicherlich viel unter der Hand geregelt, aber es gibt keinen "Vordruck für Missbrauch" bei der Kirche. Aber dass die Vertuschung zum Teil systematische Züge annimmt, das ist ein Selbstläufer. Also: Dinge werden in Gang gesetzt, ohne dass sie beauftragt sind. Um mal einen ganz brutalen Vergleich zu bringen: So hat das 3. Reich funktioniert, Führerbefehl etc.
Es gibt auch keinen Bischof, der eine Vertuschung anordnet. Dadurch, dass es keinen Vordruck gibt und keine Blaupause, tun die Leute in der Kirche auch unterschiedliche Dinge, das ist die Systematik: Der eine legt ein Angebot auf den Tisch, das juristisch natürlich vollkommen anfechtbar ist. Ein anderer versucht, die Presse rauszuhalten. Wieder ein anderer will die Staatsanwaltschaft heraushalten, aktiviert eigene Anwälte. Die wissen zum Teil sehr gut, wie man Leute unter Druck setzt.
Das Gespräch führte Jochen Kürten