Verfolgte Avantgarde
24. März 2012Arthur Kaufmanns Bild "Die geistige Emigration" bringt es auf den Punkt. Ganz direkt weist der Titel darauf hin. Fast dokumentarisch - wie auf einem Klassenfoto aufgereiht - stehen sie dort nebeneinander: Albert Einstein und Berthold Viertel, Arnold Zweig und Fritz Lang, Erika und Thomas Mann und all die anderen - 38 Schriftsteller und Komponisten, Filmemacher, Musiker, Schauspieler. Im Hintergrund des Triptychons, auf der linken Seite, weht eine Naziflagge. Auf der anderen erkennt der Betrachter das US-Banner, dazwischen ein Ozeandampfer.
Aderlass der Intellektuellen
Was das Bild zeigt, ist nichts anderes als ein Teil der großen Emigrationswelle: der Auszug der Kulturschaffenden aus Nazi-Deutschland gen Amerika in den 1930er Jahren. Der Aderlass der Intellektuellen damals war gewaltig. Und doch kamen die auf dem Bild gezeigten Männer und Frauen mit dem Leben davon. Andere konnten das ihre nicht mehr retten. Sie wurden verfolgt und getötet, in den Selbstmord getrieben, in den Konzentrationslagern vergast.
Erschütternde kleine biografische Skizzen verweisen auf all die, die ermordet wurden, auf diejenigen, die es ins Exil vertrieb, deren Werk vernichtet wurde. Es waren die besten Köpfe der Kunst- und Kulturwelt, denen all der Hass der braunen Machthaber in Deutschland entgegenschlug, die für Avantgarde und neue Formen, für Experiment und Kreativität, aber auch für Gesellschafts- und Sozialkritik standen.
Kulturprojekt zweier Länder
"Jagd auf die Moderne - Verbotene Künste im Dritten Reich" ist dann auch der passende Titel der Ausstellung im Mülheimer Kunstmuseum. Sie findet im Rahmen des "Polen-NRW-Jahres 2011/2012" statt und kann für sich in Anspruch nehmen, dass hier erstmals gemeinsam auf einen düsteren Aspekt nationalsozialistischer Vernichtungspolitik geschaut wird: "Neu ist, dass die deutsche Kuratorin die Ausstellung gemeinsam mit der Kollegin aus Polen konzipiert hat“, beschreibt Museumsdirektorin Beate Reese das kulturelle Zwei-Länder-Projekt, "dass sich da zwei Personen aus zwei Ländern auseinandergesetzt haben, um auch zu forschen und vielleicht auch gemeinsame Geschichte zu schreiben".
Die Ausstellung "Jagd auf die Moderne", die zuvor schon in Krakau zu sehen war, ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen ist es den Kuratoren gelungen, jene Epoche der Kunstgeschichte, die so viel erzwungene lose Enden und abrupte Brüche beinhaltet, für den Besucher übersichtlich strukturiert und doch wissenschaftlich fundiert darzustellen - wofür auch der großartige Ausstellungskatalog steht. Und zum anderen wird man hier einmal mehr mit Künstlern und Kulturschaffenden (außer der bildenden Kunst sind auch Literaten und Musiker miteinbezogen) konfrontiert, die eben nicht zu den "Großen und Bekannten" gehören.
Vergessene Künstler
Was in den meisten Fällen vor allem der traurigen Tatsache geschuldet sein dürfte, dass viele Künstler von den Nazis ermordet wurden und das Werkverzeichnis somit jäh zu einem Ende kam. Oder aber sie wurden ins Exil getrieben. Auch das bedeutete für viele eine künstlerische Neuorientierung, auf jeden Fall aber ein Ende der künstlerischen Auseinandersetzung in und mit der Heimat. Wer hat schon einmal etwas von Florenz Robert Schabbon gehört, der sich 1934 das Leben nahm? Wer kennt noch Lotte B. Prechner, die nach Belgien flüchten musste und untertauchte? Und wer weiß etwas über Julius Graumann, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde?
Es hängen auch Bilder von Emil Nolde und Max Pechstein im Museum, Arbeiten von Ludwig Meidner und Max Ernst, man sieht die Bücher von Thomas Mann und Else Lasker-Schüler, kann Kompositionen von Kurt Weill und Hanns Eisler lauschen. Doch die großen Entdeckungen der Ausstellung sind die vielen "Unbekannten". Künstler, die nicht Mainstream sind, das sei doch die Chance solcher Ausstellungen, habe ihr ein Besucher ins Gästebuch geschrieben, erzählt Beate Reese. Dem kann man sich ohne Einschränkungen anschließen, vor allem, wenn eine Kunstschau so klug konzipiert ist und man als Besucher auf so viel Neues und Unbekanntes trifft.
Unterstützung aus der Region
Im Polen-NRW-Jahr sei es natürlich das Ziel gewesen, sich ausschließlich auf Häuser und Sammlungen zu beschränken, die hier in Nordrhein-Westfalen beheimatet sind, erzählt die deutsche Kuratorin Judith Schönwiesner: "Weil wir zeigen wollten, dass NRW eine kulturell reiche Region ist." Stützen konnte sie sich dabei vor allem auf die umfangreichen Sammlungen zur Exilkunst des Privatsammlers Gerhard Schneider aus Olpe und die Stiftung für verfemte Künste Solingen. Aber auch viele andere rheinische Museen steuerten Exponate bei, man konnte außerdem auf die großen Bestände des eigenen Hauses zurückgreifen. Hinzu kamen Bilder aus den polnischen Museen.
75 Jahre nach jener berühmt-berüchtigten Ausstellung "Entartete Kunst", die die nationalsozialistischen Machthaber in München als Standortbestimmung ihres perfiden ästhetischen Weltbildes organisiert hatten, ist die Mülheimer Schau auch eine Erinnerung an all jene Kunstschaffenden, deren Werke damals als "entartet" gebrandmarkt wurden. "Alle Künstler, die wir zeigen", sagt Judith Schönwiesner, "wurden in irgendeiner Weise von den Nationalsozialisten verfolgt oder ihre Werke verboten". Doch sind in Mülheim auch viele Kunstwerke zu sehen, die im Exil entstanden. Auch das war ein Ziel der Mülheimer Schau: "Es ging uns auch darum, den Blick zu weiten auf die Zeit des Exils und zu zeigen, wie Künstler mit ihrer veränderten Lebenssituation im Ausland umgegangen sind."
Der Blick zu den Nachbarn
Nebenbei erhalten die Besucher Einblicke in eine jeweils fast unbekannte Kunstepoche der Nachbarländer: "Den Beitrag der polnischen Künstler zur damaligen Avantgarde zu sehen, dürfte für viele hier neu sein. Auch, was in Polen überhaupt an kulturellen Leistungen damals vernichtet wurde", sagt Reese. In Polen sei die Ausstellung "Jagd auf die Moderne" auch auf großes Interesse gestoßen. Etwas über deutsche Kunst- und Kulturgeschichte zu erfahren, sei für die polnischen Besucher bemerkenswert gewesen, nicht zuletzt, weil man dort erfahren habe, dass es auch in Deutschland viele verfolgte Künstler und Kulturschaffende gegeben hat: "Es gab nicht nur eine Generation der Täter."