Vergangenheitsbewältigung in Ex-Jugoslawien nach deutsch-französischem Beispiel
7. Juli 2005Bei Novi Sad ist eine regionale Kreativwerkstatt unter dem Motto blize (deutsch: näher) eröffnet worden. Daran nehmen 30 junge Frauen und Männer aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien-Montenegro teil. Veranstalter der Werkstatt blize ist die Jugendinitiative für Menschenrechte aus Belgrad mit Unterstützung der deutschen und französischen Botschaft in Belgrad, des Stabilitätspakts für Südosteuropa, der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Französischen Kulturzentrums in Belgrad.
Bei der Eröffnung hieß es, die Werkstatt blize sei durch die Erfahrungen in der Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland inspiriert. Daher seien die Veranstalter davon überzeugt, dass Aussöhnung auch unter den Völkern des ehemaligen Jugoslawien möglich und dies im größten Interesse des kommenden Generationen sei.
"Keine Aufrechnung"
Der deutsche Botschafter in Belgrad, Andreas Zobel, sagte, der Aussöhnung zwischen zwei Völkern ginge die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit voraus. "Das heißt, Kriegsverbrechen dürfen nicht relativiert werden. Dazu gehört auch, dass keine Relativierung der eigenen Kriegsverbrechen durch Aufrechnung mit der von der anderen Seite anschließend begangenen Kriegsverbrechen stattfinden. Ich sage dies ausdrücklich an die serbische Regierung gerichtet, oder mit den Worten vom serbisch-montenegrinischen Verteidigungsminister Prvoslav Davinic: ‚Serbien muss sich mit seiner eigenen Schuld befassen, bevor es auf die anderer verweist’", so Zobel.
"Recht und Gerechtigkeit"
Der französische Botschafter in Belgrad, Hugues Pernet, sagte, das ehemalige Jugoslawien müsse sich baldmöglichst mit den Dämonen der Vergangenheit auseinandersetzen. "Eine Aussöhnung ist nicht möglich, wenn Recht und Gerechtigkeit nicht Rechnung getragen wird. Das heißt, dass alle Angeklagten sich vor dem Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ICTY in Den Haag einfinden müssen – von Ratko Mladic bis Ante Gotovina und Radovan Karadzic. Mutiges Handeln heute bedeutet, erneuten Rachezügen in der Zukunft vorzubeugen", so Pernet.
Neues Gesellschaftsmodell
Der serbisch-montenegrinische Minister für Menschen- und Minderheitenrechte, Rasim Ljajic, meint, im Aussöhnungsprozess unter den Völkern und Staaten in der Region muss insbesondere mit der Jugend gearbeitet werden. "Durch all unsere seit 2001 erstellten Untersuchungen zeiht sich eine Konstante: die größte ethnische Distanz existiert bei jungen Menschen zwischen dem 20. und 29. Lebensjahr. Der Grund dafür ist, dass in der Vergangenheit von der derzeitigen politischen Elite ein Wertesystem aufoktroyiert wurde, das auf Teilung, Gegensätzen und Hass beruhte". An die Teilnehmer gerichtet sagte Ljajic: "Nun ist es an der Zeit, dass wir etwas für euch und für die, die nach euch kommen, tun und ein Gesellschaftsmodell aufbauen, wo Gegensätze keinen Grund für Konflikte darstellen, sondern die Grundlage für zwischenmenschliche Verständigung dienen".
Dinko Gruhonjic, Novi Sad
DW-RADIO/Serbisch, 5.7.2005, Fokus Ost-Südost