(Vergebliches) Warten auf die Zinswende
8. Juni 2017Die Zeit der wirtschaftlichen Stagnation scheint die Eurozone endgültig hinter sich gelassen zu haben. Im ersten Quartal 2017 legte das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 Prozent zu, nachdem es bereits im Quartal davor deutlich angestiegen war. Deswegen wird die Europäische Zentralbank den Geldhahn nicht noch weiter öffnen. Höchstens ein paar verbale Änderungen werden erwartet.
"Es wird meines Erachtens einen ganz zarten Wink geben", prophezeit Kristian Tödtmann von der Deka Bank im Hinblick auf die Zinssitzung an diesem Donnerstag. Die EZB werde wohl nicht mehr von nach unten gerichteten Risiken für das Wirtschaftswachstum sprechen oder sie werde zumindest sagen, dass die Risiken nicht mehr stark nach unten gerichtet sind. Eine weitere Änderung könnte sein, dass EZB-Chef Mario Draghi nicht mehr von der Möglichkeit noch tieferer Zinsen spreche, meint der Ökonom.
Seit gut einem Jahr liegt der Leitzins in der Eurozone bei null Prozent. Wer denkt, dass damit das Ende der Fahnenstange erreicht ist, irrt sich. Bereits jetzt müssen Banken 0,4 Prozent Strafzinsen zahlen, wenn sie überschüssiges Geld bei der Zentralbank deponieren. Dieser Minuszins hätte also noch Raum nach unten.
Das Ausbleiben der Hinweise auf noch expansivere Maßnahmen sollte aber nicht mit dem Ende der Geldschwemme verwechselt werden. Schließlich kauft die EZB immer noch jeden Monat für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen von den Banken auf, damit diese das Geld als Kredit an die Unternehmen weitergeben. Dadurch sollen Konjunktur und Inflation angeschoben werden.
Inflation macht (noch) nicht mit
"Nun haben wir eine neuartige Situation, dass die Konjunktur relativ gut läuft, aber die Inflation sehr niedrig bleibt", sagt Kristian Tödtmann. Zwar schrrammte die Teuerungsrate im April mit 1,9 Prozent kurz die EZB-Zielmarke von knapp unter zwei Prozent, sackte im Mai aber wieder auf 1,4 Prozent ab. Bei der Kerninflationsrate, auf die die EZB ihr besonderes Augenmerk legt, sieht es noch deprimierender aus. "Wenn man sich die Inflationsentwicklung ohne Energie und Nahrungsmittel anschaut, dann muss man feststellen, dass wir jetzt wieder auf dem Wert sind, der schon die ganze Zeit vorher herrschte, nämlich 0,9 Prozent", sagt Michael Schubert, EZB-Experte bei der Commerzbank.
Die Inflationsdynamik sei "weiterhin abhängig von der Fortsetzung unserer aktuellen Geldpolitik", betonte EZB-Chef Mario Draghi neulich und rechtfertigte damit sein Anleihekaufprogramm, das mindestens bis Ende 2017 laufen soll. Michael Schubert rechnet mit einer Verlängerung der Anleihekäufe: "Die EZB hat schon gesagt, dass sie dieses Programm nicht abrupt auslaufen lässt. Das heißt, selbst wenn sie meint, dass es nun nicht mehr notwendig ist, wird sie wahrscheinlich beschließen, das Programm langsam ausfahren zu lassen." Es werde 2018 reduzierte Käufe geben, das heißt, statt 60 Milliarden, noch 30 oder 40 Milliarden Euro monatlich. Da die Notenbank ebenso gesagt habe, erst die Anleihekäufe zu beenden und dann mit der Zinserhöhung zu beginnen, könnten bis zum ersten Zinsschritt noch Jahre ins Land gehen.
Derweil nehmen die Nebenwirkungen dieser ultralockeren Geldpolitik zu. "Zum Beispiel bekommen die Banken hinsichtlich ihrer Rentabilität Probleme, so dass sie risikoreiche Geschäfte eingehen müssen", sagt Commerzbank-Analyst Michael Schubert. Die Gefahr einer Blasenbildung an den Immobilien- und Finanzmärkten steigt.
Schleichende Enteignung der Sparer
Als Verlierer der Niedrigzinspolitik sieht sich vor allem Deutschland. "Deutschland ist ein Land mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen. Das heißt, dass es bei uns unterm Strich mehr Sparer als Kreditnehmer gibt", meint Kristian Tödtmann von der Deka Bank.
Während sich die Sparer mit einer negativen Realverzinsung abfinden müssen, freuen sich die Schuldner über Kredite nahe dem Nulltarif. So seien die Ersparnisse gerade für die hochverschuldeten Länder enorm ausgefallen, sagt Commerzbank-Experte Schubert: "Man kann die Vermutung haben, dass die eine oder andere Reform deswegen zurückgehalten wurde, eben weil es den Staaten jetzt nicht mehr so schlecht geht und die Notwendigkeit, unpopuläre Reformen durchzusetzen, nicht mehr so groß ist." Noch eine Nebenwirkung, die die EZB großzügig übersieht.