Verjüngungscocktail für Zellen
4. Oktober 2010Unter Stammzellforschern gelten Zellen aus Embryonen nach wie vor als Maß aller Dinge. In kürzester Zeit können sich die umstrittenen Alleskönner in verschiedene Gewebe des menschlichen Körpers verwandeln. Das macht sie in den Augen vieler Experten zum idealen Heilmittel für unterschiedlichste Krankheiten von Parkinson bis Leberzirrhose. Vor ein paar Jahren jedoch haben die Alleskönner Konkurrenz bekommen: Reprogrammierte Körperzellen (IPS = induzierte pluripotente Stammzellen). Sie sehen genauso aus wie embryonale Stammzellen und besitzen auch viele ihrer Fähigkeiten. Da zu ihrer Herstellung keine Embryonen verbraucht werden, gelten sie als ethisch unbedenklich.
Embryo-ähnliche Alleskönner
Der japanische Forscher Shin'ya Yamanaka schleuste 2006 erstmals einige Gene in reife Hautzellen und machte aus ihnen embryo-ähnliche Alleskönner. Später schafften es mehrere Forschergruppen mit ausgewählten Eiweißstoffen auch ohne Gentechnik, reife Körperzellen aus der Haut in IPS-Zellen zu verwandeln. In vielerlei Hinsicht erwiesen sich die neuen Zellen als ebenbürtig mit embryonalen Stammzellen. Es war gelungen, alte Zellen wieder jung zu machen. Die Arbeitsgruppe um Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster lieferte von Anfang an wichtige Beiträge zu dieser Entwicklung.
Aber es blieb ein Problem: Die Effizienz der Verjüngung in der Kulturschale war äußerst gering. Nur eine von 10.000 Körperzellen wurde tatsächlich zur Alleskönner-Zelle. Diese einzelnen Superzellen galt es zu finden und zu reinigen. Die Umprogrammierung dauert mehrere Wochen und ist eine knifflige Arbeit für Spezialisten. Bei einem Abschluss-Symposium eines europäischen Forschungsprogramms (EStools) in Lissabon wurde kürzlich konstatiert, dass die reprogrammierten Zellen immer noch nicht konkurrenzfähig sind. Erst wenn die Methoden zu ihrer Herstellung effizienter geworden seien, könnten sie tatsächlich die embryonalen Stammzellen aus den Labors verdrängen.
Turbo-Cocktail für die Zellen
Der Ruf aus Lissabon wurde schnell erhöht. Schölers Mitarbeiter Nishant Singhal präsentierte nun in der angesehenen Fachzeitschrift Cell eine Lösung für dieses Problem. Er mischte einen weiteren Eiweißstoff in den Verjüngungscocktail und konnte die Effizienz der Reprogrammierung mehr als hundertfach steigern. Nishant Singhal und seine Kollegen sprechen von einem "Turbolader" für Zellen, der im Rennen gegen die embryonalen Stammzellen den entscheidenden Vorteil bringen könnte.
Der Stoff wirkt auf epigenetischer Ebene. Das heißt: Er verändert den räumlichen Aufbau der Erbmoleküle im Zellkern. Die Chromosomen verpacken das Erbmolekül neu, und bestimmte Erbanlagen, die sonst versteckt und abgeschirmt liegen, werden zugänglich für die Verjüngungsfaktoren. In ersten Versuchen gelang es in Münster 4,5 Prozent aller Hautzellen in embryo-ähnliche Alleskönner-Zellen zu verwandeln. Damit ist das Zellen-Rennen um die Therapie der Zukunft wieder offen.
Der Entdecker der Reprogrammierung Shin'ya Yamanaka hat bereits begonnen, in Kyoto eine Stammzellenbank aus IPS-Zellen anzulegen. Statt aufwendig für jeden Patienten eine eigene Zellkultur anzulegen, will Yamanaka einige hundert definierte Zell-Kulturen züchten und für medizinische Anwendungen zur Verfügung stellen. Das reiche für 90 Prozent der japanischen Bevölkerung, gab er kürzlich bekannt. Wenn Yamanaka den neuen "Turbolader" aus Münster einsetzen würde, könnte er wesentlich schneller seine IPS-Bank aufbauen. Allerdings hat der Beschleuniger bisher nur bei Mäusezellen funktioniert. Und dass Mäusezellen sich in vielen Punkten grundlegend von Menschenzellen unterscheiden, haben nicht zuletzt Forschungsergebnisse aus Münster in den letzten Jahren mehrfach gezeigt. Der Weg bis aus Hoffnungen von Wissenschaftlern neue Heilmethoden werden ist immer noch weit.
Autor: Michael Lange
Redaktion: Judith Hartl