Briten vor dem Abzug?
22. Mai 2007Der "Sunday Telegraph" gibt Gordon Brown 100 Regierungstage. So lange werde es höchstens dauern, bis Großbritanniens neuer Premierminister den vollständigen Truppenabzug aus dem Irak ankündigen werde, meldete die Zeitung am Sonntag (21.05.). Schon stänkerte ein US-Regierungsvertreter, der nicht genannt werden wollte, über Brown: "Wir wissen nicht, ob er da sein wird, wenn wir ihn brauchen". Man rechne in Washington mit einem Beschluss, die die Stellung der US-Regierung deutlich schwächen werde. Der im Voraus Gescholtene erklärte sich der Linie des noch amtierenden Regierungschefs Tony Blair treu. Er verstehe, dass der Krieg im Irak ein schwieriges Thema sei, stehe aber zur ursprünglichen Entscheidung, die Invasion zu unterstützen.
Die Innenpolitik entscheidet
So emotional die Irak-Debatte auch ist, wird sie doch nicht das Hauptthema der Regierung Brown, meint der Europaspezialist Jan Techau, der sich in Großbritannien ein Bild von der Stimmung gemacht hat. "Gordon Brown hat ein Ziel", sagt Techau, Politiloge der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Er muss, muss, muss die Parlamentswahlen im Jahr 2010 gewinnen. Sonst geht er als tragische Figur in die Geschichte ein". Brown startet aus einem Tal, denn im Mai erlitt die Labour-Partei, zerstritten über Blairs Irak-Politik, Verluste bei den Regional- und Kommunalwahlen. Um den Parteifrieden wieder herzustellen, setzt Brown zunächst auf traditionelle, innenpolitische Labour-Anliegen wie Gesundheit, Integration und Bildung.
"Wenn es notwendig wird, mit der Irak-Politik Stimmen zu gewinnen, wird Brown den Abzug ankündigen", sagt Techau. Bisher betont der amtierende Finanzminister noch die guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und die Verpflichtung gegenüber dem Irak. Das kann er sich eher leisten als der gegenwärtige Amtsinhaber Blair, der vielen Briten als Kriegspremier und treuer "Pudel" von US-Präsident Bush gilt. Um den Spottern keinen weiteren Anlass zu geben, holte Blair die Goldene Ehrenmedaille, die ihm der US-Kongress verlieh, bisher nicht ab. Doch am militärischen Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten, dem traditionell wichtigsten außenpolitischen Partner Großbritanniens, hielt er fest. "Brown muss jetzt einen Mittelweg zwischen den Loyalitäten finden", sagt Techau, "der Loyalität zu Blair und den USA einerseits, zu seiner Partei und dem Volkswillen andererseits".
Gefühlte Präsenz
Große militärische Auswirkungen hätte ein Abzug der britischen Truppen aus dem Irak indes nicht. Von einst 44.000 Soldaten sind nur noch 7100 am Golf, noch in diesem Jahr soll die Zahl auf 5500 sinken. Ein vollständiger Abzug wäre vor allem ein politisches Signal. "Für die US-Regierung und Präsident Bush wäre es ein Rückschlag neben vielen anderen ", sagt Irak-Experte Jochen Hippler vom Duisburger Institut für Entwicklung und Frieden. "Für ein Ende der Unruhen bräuchte es aber so wie so eine politische Lösung, die nicht in Sicht ist. Die US-Regierung ist auch mit 160.000 Truppen nicht in der Lage, den Irak zu kontrollieren."
Der britischen Bevölkerung geht es weniger um die politische Zukunft des Irak als um das Schicksal ihrer Landsleute. "Der größte Teil der Truppen ist zuhause, aber gefühlt kämpft Großbritannien noch immer im Irak", sagt Politologe Techau. "Die Soldaten, die noch da sind, zählen." Browns 100 Tage beginnen am 27. Juni. Bevor er sich entscheidet, will sich Premierminister Brown im Irak selbst ein Bild machen.