Verlorene Illusionen - Die Philippinen 20 Jahre nach dem Sturz von Marcos
25. Februar 2006Die Bilder gingen um die Welt und lösten bei Demokraten Begeisterung und bei Diktatoren Alpträume aus: Im Herzen der philippinischen Hauptstadt Manila hatten sich gewaltige Menschenmengen versammelt; sie forderten den Rücktritt von Diktator Ferdinand Marcos. Es war eine bunt gemischte Menge, die vier lange Tage und Nächte auf der Epifania de los Santos Avenue, kurz EDSA genannt, ausharrte. Am Ende waren es über eine Million Menschen. Als sich Teile des Militärs auf die Seite der friedlichen Demonstranten schlugen, war der politische Umsturz perfekt: Marcos und seine Familie flüchten Hals über Kopf ins Exil nach Hawaii. Frau Corazon Aquino, die Symbolfigur von People Power, übernahm die Amtsgeschäfte in Manila.
Demokratisierungswelle
All dies passierte vor 20 Jahren, am Samstag, dem 25. Februar. Die philippinischen Ereignisse blieben nicht ohne weltpolitische Wirkung. Jahre später sprachen Politologen von einer Welle der Demokratisierungen, die die People-Power-Revolution in Manila ausgelöst hatte. Wie Dominosteine fielen, inspiriert von der philippinischen Initialzündung, etwa die Diktaturen in den asiatischen Nachbarländern Taiwan und Südkorea - sagten die Beobachter - zu einer Zeit, als sich auch in Mittel- und Osteuropa das Ende totalitärer Staaten ankündigte.
20 Jahre später ist von der Euphorie wenig geblieben. Die Zeiten, da die Philippinen als Vorbild galten, sind längst vorbei. Politisch wie wirtschaftlich ist das asiatische Entwicklungsland ein Sorgenkind. Während sich die Volkswirtschaften in vielen Ländern der Region geradezu explosionsartig entwickelten, sind die Philippinen zurückgeblieben. Für die große Mehrheit der Menschen brachten Demokratie und politische Freiheiten keine materielle Besserung, sagt Chito Gascon, ein politischer Aktivist und ehemaliger Studentenführer: "Die Einrichtung demokratischer Institutionen hat nicht zu einer Besserung der Verhältnisse vieler Menschen geführt", sagt Gascon. "Jetzt herrscht die Meinung vor, dass wen auch immer wir an der Spitze auswechseln, alles beim Alten bleiben wird. Viele sagen, lasst uns das Beste aus dem machen, was wir haben."
Korruption und Vetternwirtschaft
Nicht nur Apologeten der alten Ordnung behaupten heute, dass es den Menschen zu Zeiten von Ferdinand Marcos materiell besser gegangen sei. Damals haben die armen Filipinos zwei warme Mahlzeiten pro Tag gegessen, heute sei es nur eine, sagt der Schriftsteller Jose Sionel. Die Statistiken der Weltbank weisen derweilen aus: 40 Prozent der Filipinos müssen pro Tag mit weniger als zwei US-Dollar auskommen.
Weitgehende Einigkeit besteht, dass ökonomische Misere und Verelendung vor allem politische Ursachen haben: Korruption, Vetternwirtschaft und Patronage sind auch 20 Jahre nach dem Volksaufstand auf der EDSA-Straße Strukturmerkmale der philippinischen Volkswirtschaft, die einen anhaltenden Aufschwung bremsen.
Zwar sind die Philippinen formal eine Demokratie mit regelmäßigen Wahlen, politischen Parteien, Gewaltenteilung und einer freien Presse. Doch Kritiker sagen, es sei eine oberflächliche Demokratie, die eine echte Mitwirkung der Bürger nicht zulasse. Auch sei die tatsächliche Macht in den Händen einer kleinen Gruppe von Familien konzentriert, die wie mittelalterliche Dynastien alle wichtigen politischen Entscheidungen kontrolliert.
Schein-Demokratie
"Es ist nur dem äußeren Schein nach eine Demokratie; es ist eine Demokratie, in der viele Menschen keine Chancengleichheit haben; es ist eine Demokratie, wo die Armen Kandidaten wählen, die ihnen Geld geben", sagt Marites Vitug, Chefredakteurin des politischen Magazins "Newsbreak". "Wir müssen unsere Demokratie stärken, sie mit Leben füllen, damit wir auf People Power stolz sein können." Wie die Mehrheit ihrer Altersgenossen hat auch Vitug vor 20 Jahren gegen Marcos und für die Demokratie demonstrier. Heute befasst sich Frau Vitug in ihrem Nachrichtenmagazin vor allem mit aktuellen politischen Skandalen und Krisen.
Im Mittelpunkt der aktuellen Auseinandersetzungen, und durchaus symptomatisch für die Schwäche der politischen Institutionen in den Philippinen, steht Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo. Frau Arroyo war im Frühjahr 2001 selber durch einen Volksaufstand - und nicht durch demokratische Wahlen - an die Macht gekommen. In einer Nachahmung von "People Power" fanden abermals auf der EDSA-Straße Massendemonstrationen gegen den der Korruption bezichtigten Präsidenten Joseph Estrada statt: Damals sprach man von "People Power 2" - oder auch "EDSA 2". Angesichts des mobilisierten Volkszorns beugte sich Estrada dem Druck der Straße und machte seiner Vizepräsidentin Arroyo Platz.
Vorwurf der Wahlfälschung
Heute - fünf Jahre später - wirft die Opposition Frau Arroyo Wahlfälschungen vor. In der Logik von People Power rufen die Gegner der Präsidentin immer wieder zu Demonstrationen auf. Mehr als einmal sind sie enttäuscht worden von den Führern, denen sie zugejubelt hatten und die dann, einmal an der Macht, wenig getan haben, um ihr Los zu verbessern. So wie von Arroyo, die nun kurz vor dem Jahrestag der Anti-Marcos-Revolution den Ausnahmezustand verhängen ließ und dies mit angeblichen Putschplänen aus den Reihen des Militärs.
Auch wenn die Präsidentin in hohem Maße unbeliebt ist, 20 Jahre nach der historischen People-Power-Revolte - oder EDSA One, wie die Filipinos sagen - sind die Menschen mehrheitlich mit Arroyo der Meinung, dass Straßenproteste und Demonstrationen auf Dauer kein Ersatz für verfassungsmäßige politische Verfahren sein können. "Die Welt hat 1986 EDSA 1 umarmt und EDSA 2 im Jahre 2001 geduldet", sagte Arroyo vor wenigen Tagen vor der internationalen Presse. "Die Welt wird ein drittes EDSA nicht verzeihen, sondern die Philippinen verdammen als ein Land, dessen politisches System hoffnungslos instabil ist und dessen Menschen es immer wieder schaffen, sich in den eigenen Fuß zu schießen." Der jetzt verhängte Ausnahmezustand zeigt freilich, dass die Philippinen noch längst keine stabile Demokratie geworden sind.