Vermisste des Zweiten Weltkriegs: Suchanfragen steigen
26. August 2020"Mir ist jetzt leichter ums Herz, ich kann anders an meinen Vater denken", erzählt Heidi Büttner. Die Rentnerin aus Eichwalde bei Berlin hat im Oktober 2019 endlich erfahren, was mit ihrem Vater geschehen ist, der 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten und danach verschollen war. Die Auskunft bekam sie dank eines Antrags, den sie wenige Monate zuvor beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes gestellt hatte. "Die innere Unruhe, nicht zu wissen, was mit meinem Vater passiert ist, hat mich über Jahrzehnte begleitet", sagt Büttner. "Das Wort 'vermisst' geisterte in meinem Kopf herum." Heute wirkt sie, als sei eine große Last von ihr abgefallen. Deshalb rät sie anderen Suchenden dazu, ebenfalls einen Antrag beim Deutschen Roten Kreuz zu stellen.
Gestiegene Chancen
Dass die Chancen, Vermisstenschicksale des Zweiten Weltkriegs zu klären, auch 75 Jahre nach Kriegsende nicht schlecht stehen, ist Akten aus der ehemaligen Sowjetunion zu verdanken. Sie ergänzen seit dem Ende des Kalten Krieges das Archivmaterial, das beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in München lagert. Außerdem werden immer mehr Akten digitalisiert und sind daher leichter auszuwerten. So ist es möglich, dass ein neuer Antrag Erfolg hat, selbst wenn frühere Anfragen keine Erkenntnisse gebracht hatten. Oft sind es Angaben zum Sterbedatum und zum letzten Aufenthalt eines Vermissten, die den Angehörigen erstmals übermittelt werden können.
"Wir haben eine Erfolgsquote von 20 Prozent", betont Gerda Hasselfeldt, die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes. Bei gut 10.000 Anträgen, die im vergangenen Jahr gestellt wurden, konnten also in 2000 Fällen Schicksale geklärt werden. In diesem Jahr rechnet der Suchdienst sogar mit 11.000 Anfragen - und führt das gestiegene Interesse auch auf den 75. Jahrestag des Kriegsendes zurück. Viele Menschen hätten sich erneut mit dem Thema beschäftigt. Auch aus dem Ausland kommen Anfragen, etwa aus Russland, Polen oder Norwegen.
Fortsetzung bis 2025
Wegen des anhaltenden Interesses wird der Suchdienst, der eigentlich Ende 2023 auslaufen sollte, um zwei weitere Jahre verlängert. Bis 2025 will das Bundesinnenministerium, das den Suchdienst finanziert, weiter Geld geben. "Familien haben ein langes, sich über Generationen erstreckendes Gedächtnis", begründet Markus Kerber, Staatssekretär im Innenministerium, diese Entscheidung. Es gebe in Deutschland weiterhin ein großes Bedürfnis, sich an den Krieg zu erinnern und die Geschichte aufzuarbeiten.
Heute sind es oft jüngere Familienmitglieder, die das Schicksal ihrer Großeltern oder Urgroßeltern bewegt. So hatte 2019 die Dresdner Schülerin Lara Rading das Schicksal ihres vermissten Urgroßvaters mittels eines neuen Suchantrags erhellen können. Drei ältere Suchanträge ihrer Großmutter hatten keine Klärung gebracht. Doch neue Aktenbestände aus Russland brachten schließlich den Durchbruch.
Gewissheit 75 Jahre nach Kriegsende
Auch bei Manfred Kropp gab der Sohn den Anstoß, sich noch einmal an den Suchdienst zu wenden, um etwas über den vermissten Vater herauszufinden. Seine Anfrage konnte er digital stellen: "Es war einfach, den Antrag auszufüllen, und im Nu erledigt." Als dann per Post ein dickes Kuvert kam, konnte Kropp es zuerst nicht glauben. Darin waren Unterlagen zum Schicksal seines Vaters, der in russische Kriegsgefangenschaft geraten war. Diese Nachricht habe ihn sehr zufrieden gemacht, sagt Kropp mit bewegter Stimme. "Jetzt kann ich damit abschließen."