Sierens China
14. Juli 2014In Austin, Texas ist Barack Obama noch uneingeschränkt willkommen. Im berühmtesten Grillhaus der Stadt etwa, das für seine saftigen Rippchen, aber auch für seine langen Wartezeiten bekannt ist, konnte sich der Präsident mit seiner Entourage einfach an der Warteschlange vorbeidrängeln, ohne dass sich jemand beschwerte. Zumal Obama mit der präsidialen Kreditkarte einige der Wartenden zum Essen einlud. Praktisch alle US-Medien griffen diese Anekdote am Wochenende (12./13.07.) auf. Denn ansonsten gab es draußen in der Welt nicht viel zu berichten, was getaugt hätte, den Nationalstolz aufzuladen. Die Welt der Weltmacht USA funktioniert nicht mehr wie ein Grillhaus in Austin.
"Stell dich hinten an, Obama!"
Wenn nicht ein paar Amerikaner aus Austin, sondern Angela Merkel, Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye und Chinas Präsident Xi Jinping in der Schlange gestanden hätten, wäre die Szene anders ausgegangen. Nach allem, was sich in den vergangenen Tagen auf der Welt zugetragen hat, dürfte die Antwort klar sein: "Stell dich hinten an, Obama! Wir lassen uns von dir nicht mehr herumschubsen!" Gleich von zwei Kontinenten bekamen die USA so klar wie nie zuvor ihre Grenzen aufgezeigt.
Selbst für Angela Merkel, die bisher einsilbigste unter den wichtigsten europäischen Politikern, wenn es um amerikanische Zumutungen geht, ist nun das Maß voll. Dass die NSA ihr Handy und wohl noch viel mehr heimlich abgehört hat, wollte die Kanzlerin noch ohne großes Aufsehen verzeihen, wofür sie in Deutschland Kritik einstecken musste. Jetzt, da bekannt wurde, dass ein Spitzel im Bundesnachrichtendienst auf der Gehaltsliste der Amerikaner stand und der wohlmöglich Unterlagen aus eben jenem Untersuchungsausschuss beschaffen sollte, der sich mit den Spähaktionen der Amerikanern befasst, war dann auch für Merkel Schluss: Sie verwies den Repräsentanten der amerikanischen Geheimdienste in Deutschland des Landes. Nicht, dass schon vor zehn Jahren allen klar war, dass die Amerikaner jeden abhören, den sie abhören können. Aber nun schweigen die Alliierten nicht mehr höflich.
Deutschland geht auf Abstand zu den USA
Zwar machte Merkel gleichzeitig deutlich, dass sie zum Beispiel die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA nicht aussetzen wird. Dass nun aber die Kompromissbereitschaft bei den Gesprächen sinkt, ist auch klar. Merkel telefonierte nicht einmal mehr mit Obama, sondern sprach davon, dass es keine "Vertrauensbasis" sei, wenn sie sich immer fragen müsse, ob derjenige, dem sie gegenübersitze, "vielleicht noch gleichzeitig auch für den anderen arbeitet".
Die Zeiten der Milde, zur der sich zuletzt vor allem deutsche CDU-Politiker aus Dankbarkeit für den Schutz des europäischen Kontinents durch die USA verpflichtet sahen, ist nun vorbei. Die SPD ist spätestens mit dem Nein zum Irak-Krieg auf Abstand gegangen. Die Grünen schon in achtziger Jahren mit ihrem Nein zur NATO-Nachrüstung. Und so sprach der deutsche Außenminister Frank Steinmeier am Wochenende tatsächlich davon, dass man die Beziehungen zu den USA wieder "beleben" müsse. Und das klang schon sehr stark nach Wiederbelebung. Dass auch Europa nicht mehr alles duldet, machte der designierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker klar, der quasi als erste Amtshandlung Merkel in der Spionageaffäre den Rücken stärkte.
Parallele Prozesse in Europa und Asien
Interessant, ja geradezu faszinierend ist, dass am anderen Ende der Welt, in Asien, zur gleichen Zeit ähnliches passiert - ohne dass sich Europa und Asien abstimmen. Ja, sie sind sich dessen nicht einmal richtig bewusst. Und so musste sich Washington vergangene Woche auch noch in Asien in die Schranken weisen lassen. Als wäre Deutschland nicht schon genug diplomatischer Albtraum für eine Woche. Zuerst war da Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye, die sich China annäherte: Beide Länder wollen noch in diesem Jahr eine Freihandelszone gründen. Zudem verkündete Park unter anderem, dass beide Länder möglichst viele ihrer Geschäfte nicht mehr in US-Dollar, sondern in Yuan und Won abwickeln wollen. Bisher werden noch 90 Prozent der Geschäfte in US-Dollar getätigt. Das bedeutet: Die Wirtschaftsinteressen mit China sind ihr wichtiger als die Sicherheitsinteressen mit den USA.
Dann auch noch die zwei Tage dauernde sechste Runde des strategischen und wirtschaftlichen Dialogs, zu dem US-Außenminister John Kerry und acht weitere Kabinettsmitglieder nach Peking gereist waren. Da wurde noch einmal klar, dass es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt. Zum Beispiel suspendierte Peking die gerade von Obama und Xi gegründete Arbeitsgruppe zur gemeinsamen Bekämpfung von Internetkriminalität. Und die Amerikaner mussten sich von den Chinesen anhören, dass man China und die USA nicht mit zweierlei Maß messen könne. Kerry versuchte mit einer Notlüge zu parieren: "Wir befinden uns nicht in einem rivalisierenden Wettbewerb mit China."
China ist bereits weiter
Auch wenn das Selbstbewusstsein in Europa und Südkorea wächst: Die aufsteigende Weltmacht China ist schon ein wenig weiter. Nicht nur Protest und Verstimmung bestimmt nun das Verhältnis gegenüber den USA, wie es bei Deutschland derzeit der Fall ist. Dass ist inzwischen in Peking eher die Regel. Es geht auch nicht mehr nur darum, neue Spielregeln zumindest für das eigene Hoheitsgebiet durchsetzen, wie das die Europäer zum Beispiel bei den Banken oder jüngst gegen Google versuchen. Das macht Peking schon länger. Zuletzt im Streit um Cyberspionage. Peking will Windows-Software von Rechnern der Regierung verbannen, und IBM-Server aus den Banken des Landes. Vergangene Woche wurde das Apple-iPhone von Staatsmedien als Risiko für die nationale Sicherheit eingestuft.
Peking geht auch weiter als die Europäer, denen es immerhin gelungen ist, den Spielraum der Steueroasen einzudämmen. China schafft es wie kein anderes Land, wie keine andere Region, neue globale Regeln und Institutionen aufzustellen. In dieser Woche beispielsweise fliegt Präsident Xi Jinping nach Rio, um mit Brasilien, Russland, Indien und Südafrika eine BRICS-Bank zu gründen. Ein Gegenstück zur von den Amerikanern dominierten Weltbank also, mit denen sich die Mitgliedsländer künftig ohne die Hilfe des Westens unter die Arme greifen wollen. Es ist schon ausgemacht Sache, dass ähnliche internationale Institute, die ohne die Amerikaner auskommen, folgen werden. Überall auf der Welt schließen die Chinesen Abkommen, um ohne den US-Dollar zu handeln. In wichtigen globalen Konflikten wie Nordkorea und Iran bestehen sie auf Verhandlungen statt Isolation und Sanktionen. Und in beiden Fällen bekommen sie immer mehr Zustimmung. Ein neuer globaler Wettbewerb der Ideen, Regeln und Institutionen entsteht also, der von all denen Ländern begrüßt wird, die unter den amerikanischen Spielregeln leiden.
Manager des Abstiegs aus der Monopol-Position
Obama ist in dieser Hinsicht eine tragische Figur. Für diese globale Aufmüpfigkeit von historischer Dimension kann er nur wenig. Er ist vor allem zur falschen Zeit Präsident. Seine Vorgänger konnten noch Flugzeugträgerflotten entsenden, gleich zwei Kriege anzetteln und das Finanzsystem zum Kasino werden lassen.
Jetzt ist das Geld alle, die Kriege haben nichts gebracht. Und die Vorbehalte Europas und Asiens sind größer als je zuvor. Obama wird deshalb wohl nicht nur als der erste schwarze Präsident in die Geschichte eingehen und als Begründer des ersten, flächendeckenden US-Sozialsystems. Er ist zugleich der erste Präsident, der Amerikas Abstieg von der Monopolweltmacht zu einem von vielen Spielern in der multipolaren Welt managen muss. Bisher fällt sein Zeugnis in dieser Hinsicht eher schlecht aus. Er sollte die Zeit, die ihm im Amt noch bleibt, besser nicht für PR im Grillhaus verschwenden. Denn Europa und Asien werden mit Sicherheit noch deutlicher erkennen, dass sie am gleichen Projekt arbeiten: An der Abschaffung globaler, amerikanischer Monopole.
Unser Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.