Versteckspiel mit der Welt: Nordkorea und COVID-19
25. August 2020Wenn Choi Jung Hun seine Patienten in Nordkorea behandelte, dann musste er persönlich für den nötigen Hygieneschutz sorgen. "Man hat mich aufgefordert, mir selbst OP-Masken und Handschuhe zu kaufen." Schutzausrüstung für Ärzte habe es nicht gegeben, berichtet er der DW via Skype. Unabhängig überprüfen lassen sich seine Aussagen nicht, doch sie decken sich mit anderen Berichten aus dem abgeschotteten Land.
Der Neurologe Choi Jung Hun floh 2012 nach Südkorea. Zuvor arbeitete er im Zentrum für Seuchenbekämpfung der nordkoreanischen Hafenstadt Chongjin. Als junger Mediziner erlebte er die SARS-Epidemie von 2002/2003 mit. Damals hatte er nicht viel mehr als ein Fieberthermometer, um Diagnosen zu stellen.
Heute ist der Überläufer als Gastwissenschaftler an der Korea University in Sejong tätig. Dass Nordkorea – wie in den Staatsmedien berichtet – bislang vom Corona-Virus verschont geblieben ist, hält der schlanke Mann mit dem ernsten Gesicht für Propaganda - nicht zuletzt deshalb, weil die 1400 Kilometer lange Grenze zum Nachbarland und wichtigsten Handelspartner China noch bis Ende Januar offen war.
Dr. Choi glaubt, dass das Coronavirus bereits damals ins Land gelangt ist. "Natürlich sind in Nordkorea Menschen am Coronavirus gestorben", betont er mit Nachdruck. In seiner Heimat seien in der Vergangenheit immer wieder Menschen durch Viren gestorben. Auch durch solche, die anderswo nicht tödlich seien: "Nordkorea ist ein Virenmuseum."
Es überrascht ihn nicht, dass das Regime beharrlich behauptet, man habe es geschafft, COVID-19 fern zu halten. "Das Gesundheitssystem ist sehr schwach. Das möchte man der Welt nicht zeigen." Und noch ein anderer Aspekt spiele eine Rolle: die Botschaft an die eigene Bevölkerung. "Wenn klar wird, dass das Gesundheitssystem nicht für die Menschen sorgen kann, werden die das Vertrauen in ihre Regierung verlieren. Es würde bedeuten, dass das System nicht unfehlbar ist." Das wolle die Führung vermeiden und unterdrücke oder manipuliere Informationen.
Die staatliche Berichterstattung
Tatsächlich wird in den nordkoreanischen Staatsmedien viel über COVID-19 berichtet. Täglich gibt es Updates – mit Schlagzeilen, die suggerieren, dass das Regime das Menschenmögliche tut, um die Bevölkerung zu schützen: "Maßnahmen gegen die Epidemie werden weiter verschärft", "Landesweite Kampagne gegen die Epidemie wird intensiviert" oder "Lebhafter Einsatz gegen die Epidemie".
Auch die auf Nordkorea spezialisierte Internet-Zeitung Daily NK berichtet intensiv, dort aber klingt die Berichterstattung anders. Die Redaktion von Daily NK sitzt in Seoul, in ihren Artikeln berufen sich die Autoren auf anonyme Quellen im Norden, deren Identität aus Sicherheitsgründen geschützt bleiben müsse.
Mitte Juni vermeldete Daily NK zum Beispiel: "Mehr als 5.000 Menschen, die aus den Quarantäne-Einrichtungen des Landes entlassen wurden, könnten gestorben sein, spekulierte eine Quelle." Eine unabhängige Verifizierung ist allerdings unmöglich.
Ein Überläufer als Verdachtsfall
Nur so viel steht fest: Das isolierte Nordkorea reagierte auf die Corona-Krise mit umfangreichen Maßnahmen: Die ohnehin kaum überwindbaren Grenzen wurden noch weiter geschlossen, an Schulen und Universitäten fand monatelang kein Unterricht statt. Und Ende Juli dann das: Die Staatsmedien meldeten den ersten und bislang einzigen Verdachtsfall: angeblich ein Überläufer, der reumütig aus Südkorea über die Grenze zurückgekommen sein soll. Unter Leitung von Kim Jong Un kam das Politbüro zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen und beschloss einen Lockdown für die 200.000 Einwohner der Grenzstadt Kaesong.
Danach wurde es still um den Fall, und die Ausgangssperre wurde Mitte August wieder aufgehoben. In der Corona-Statistik der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität taucht Nordkorea nach wie vor nicht auf.
Am 19. August traf sich dann unter Führung Kim Jong Uns das Zentralkomitee der herrschenden Arbeitspartei zu einer Plenarsitzung. Auf den Fotos, die die nordkoreanische Staatszeitung Rodong Sinmun veröffentlichte, sind gefüllte Reihen zu sehen – eine Maske trägt niemand.
Kaum noch Ausländer im Land
Wie sind diese gemischten Signale zu deuten? Die Nachrichtenlage hat sich seit dem Ausbruch der Corona-Krise weiter verschlechtert. Die Mehrheit der Ausländer hat das Land verlassen. Auch viele Botschaften, darunter die meisten europäischen, zogen ihr Personal ab. Die Deutsche Botschaft ist seit dem 9. März geschlossen.
Ein paar osteuropäische Staaten haben ihre Vertretungen in Pjöngjang noch geöffnet. "Für den Moment gibt es keine Überlegungen, die Botschaft zu schließen", teilte ein Sprecher der polnischen Botschaft der DW mit. Die polnischen Behörden würden die Entwicklungen der Situation "aufmerksam verfolgen". Auch die rumänische Botschaft "setzt ihre Tätigkeit fort", heißt es auf Anfrage. Allerdings seien "Familienangehörige der Diplomaten und einige andere Mitarbeiter am 9. März 2020 nach Rumänien zurückgekehrt". Weiter im Land sind auch die Vertreter der Tschechischen Republik und Bulgariens.
Mitte August vermeldete der Nordkorea-Blog NK News, dass Schweden seine Botschaft geräumt habe – was Auswirkungen für deutsche Staatsangehörige hätte, denn die wurden seit der Schließung der Deutschen Botschaft von Schweden mitbetreut. Wie viele Deutsche derzeit noch im Land sind, ist nicht bekannt.
Man habe die Botschaft nicht geschlossen, sondern nur seine entsandten Diplomaten "vorübergehend umgesiedelt", teilte das schwedische Außenministerium der DW mit. Die Botschaft werde derzeit aus Stockholm geführt, die Arbeit aber an beiden Standorten fortgesetzt. Das schwedische Außenministerium räumt ein, dass die "Situation für Diplomaten und internationale Organisationen in letzter Zeit sukzessive schwieriger geworden ist".
Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes heißt es unter den Reise- und Sicherheitshinweisen für Nordkorea knapp: "Aussagen darüber, ob es in Nordkorea zu Infektionen gekommen ist, sind nicht möglich. Es muss davon ausgegangen werden, dass das örtliche Gesundheitssystem nicht über die Möglichkeiten zu Diagnose und Behandlung einer akuten COVID-19-Erkrankung verfügt."
Das bestätigt auch der geflohene Arzt Choi Jung Hun. Allerdings: Es liege nicht an der Qualifikation der Ärzte und Schwestern. Das medizinische Personal sei fachlich gut ausgebildet. "Die Ärzte sind durchaus in der Lage, COVID-19 anhand der Symptome zu erkennen. Aber selbst wenn – offiziell bestätigen können sie diese Diagnose nicht, denn dazu fehlt ihnen das nötige Equipment."
Nicht nur Corona-Testkits sind in Nordkorea absolute Mangelware. "Es gibt einfach keinerlei Infrastruktur. In den Krankenhäusern kommt es immer wieder zu Stromausfällen, teilweise hat man kein fließendes Wasser", berichtet Choi.
Das Dilemma der Hilfsorganisationen
Hilfsgüter ins Land hereinzubringen ist schwierig. Das liegt nicht nur an den geschlossenen Grenzen, sondern auch an umfangreichen UN-Sanktionen. Zu den Organisationen, die bislang Material nach Nordkorea bringen durften, zählt Ärzte ohne Grenzen (MSF). Am 30. März traf eine Lieferung beim nordkoreanischen Gesundheitsministerium ein: Masken, Handschuhe, Schutzkleidung, Hygieneprodukte, Antibiotika. Für diese Lieferung benötigte MSF eine Ausnahmegenehmigung.
In Nordkorea selbst sind kaum noch Hilfsorganisationen vertreten. Aus Deutschland ist nur die Welthungerhilfe vor Ort, doch auch ihre Projekte sind derzeit suspendiert. Die einzige Organisation, die Zugang zu allen Provinzen habe, sei das Nordkoreanische Rote Kreuz, so Antony Balmain von der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung (IFRC). Mitarbeiter seien gemeinsam mit 43.000 Freiwilligen und Behördenvertretern im Land unterwegs, um den Menschen zu erklären, wie sie sich vor COVID-19 schützen können. Nach Angaben von Balmain hat das nordkoreanische Rote Kreuz Anfang Juli die Ausrüstung für 10.000 Corona-Tests erhalten, "außerdem Infrarot-Fieberthermometer, N95-Masken und normale OP-Masken, Gesichtsschutzschilde, Schutzkleidung und Schutzbrillen." Die Lieferung solle den Menschen im ganzen Land zugutekommen.
Dr. Choi Jung Hun bezweifelt, dass die Verteilung funktioniert. Denn das Gefälle zwischen der Hauptstadt und dem Rest des Landes sei groß. "Das meiste Equipment geht an die Kliniken in Pjöngjang." Den Ärzten auf dem Land bleibt dann oft nicht mehr als das, was Dr. Choi selbst zur Verfügung hatte: ein Fieberthermometer.