Vertrauliche Geburt: Ausweg für Schwangere
13. Juli 2017Frauen, die ihre Schwangerschaft geheim halten wollen, sind in einer Zwickmühle. Sie brauchen medizinische Versorgung, aber ein Besuch unter ihrem richtigem Namen im Krankenhaus oder bei einem Gynäkologen kommt nicht infrage: Einige fürchten, dass Rückfragen den gewalttätigen Ehemann erreichen könnten, andere wohnen noch bei den Eltern, die nichts erfahren sollen.
Um diesen Schwangeren zu helfen, führte die Bundesregierung 2014 das Gesetz zur vertraulichen Geburt ein. Mit der Verabschiedung trat eine Hotline in Kraft, bei der Frauen rund um die Uhr kostenlos anrufen können und sofort Hilfe bekommen. Sie werden an eine Beratungsstelle in ihrer Nähe überwiesen - alles anonym.
Wenn sich die Frau nach ausführlicher Beratung für eine vertrauliche Geburt entscheidet, bekommt sie die medizinische Hilfe, die sie braucht. Sie wird von einer Hebamme unterstützt und kann in einem Krankenhaus ihr Kind zur Welt bringen, ohne ihren richtigen Namen zu nennen. Das Neugeborene kommt gewöhnlich in die Obhut des Jugendamts und wird zur Adoption freigegeben.
Gut drei Jahre nach Einführung des Gesetzes zieht das Bundesfamilienministerium eine positive Bilanz. Frauenministerin Katarina Barley (SPD) präsentierte die Ergebnisse einer Studie. Demnach wird die Hilfe gut angenommen: Seit Mai 2014 gab es 335 vertrauliche Geburten in Deutschland, durchschnittlich also mehr als 100 pro Jahr.
Schon lange bevor das Gesetz zur vertraulichen Geburt in Kraft trat, gab es in Deutschland die sogenannten Babyklappen, die gewöhnlich an Kinderkliniken angeschlossen sind: Hinter einer Klappe befindet sich ein kleines Bettchen, in das verzweifelte Frauen ihr Baby legen können. Durch Sensoren werden Krankenschwestern alarmiert, die sich sofort um das Neugeborene kümmern.
Der entscheidende Unterschied zwischen Babyklappen und vertraulicher Geburt: Ein Kind, das in eine Babyklappe gelegt wurde, hat keine Chance, je etwas über seine Herkunft zu erfahren. Die Klappen sind deswegen in Deutschland auch nur geduldet, denn eigentlich verletzen sie das Recht eines Kindes auf die Kenntnis seiner Herkunft.
Bei der vertraulichen Geburt muss die schwangere Frau ihren Namen und ihre Kontaktdaten bei der Beratungsstelle hinterlegen. Diese leitet die Daten in einem verschlossenen Umschlag an das Bundesamt für Familie weiter. Nur der Berater erfährt den Namen der Frau. Das Kind aber kann nach dem 16. Geburtstag die Informationen beim Bundesamt einsehen und Kontakt zur Mutter aufnehmen.
"Das ist eine gute Lösung für Mutter und Kind. Beide werden bei der Geburt medizinisch betreut und das Kind kann später erfahren, woher es kommt", sagte Barley.
Kein Ersatz für die Babyklappe
"Grundsätzlich ist dieses Gesetz sehr wichtig, um den Frauen in einer schweren Konfliktsituation zu helfen", sagt Katharina Jeschke vom Deutschen Hebammenverband im DW-Gespräch: "Es sorgt dafür, dass sie in der Schwangerschaft, während der Geburt und im Wochenbett medizinische und psychosoziale Unterstützung bekommen. Es hilft auch den Hebammen, Ärzten und Kliniken, denn die sind bei komplett anonymen Geburten auf rechtlich sehr unsicherem Terrain unterwegs."
Die Hebammen betonen aber auch, dass die Regelung zur vertraulichen Geburt kein vollständiger Ersatz für Babyklappen oder anonyme Geburten sein kann. Schließlich müsse die Frau sich im Rahmen der vertraulichen Geburt mit ihrem Personalausweis bei einer Beratungsstelle registrieren. Die Information wird zwar erst 16 Jahre später nur an das Kind weitergegeben, aber das könne in Extremfällen eine Hürde sein.
"Normalerweise erwarten wir, dass eine schwangere Frau in der Lage ist, sich um Hilfe zu bemühen", sagt Jeschke. "Aber es gibt auch emotionale Ausnahmesituationen. Da kann man nicht davon ausgehen, dass normales, logisches Denken möglich ist. Deshalb gibt es Frauen, die ihre Kinder aussetzen oder in Babyklappen legen. Und genau diesen Frauen und Kindern will man ja helfen."
Wie im Beichtstuhl
Das Waldfriede-Krankenhaus in Berlin-Zehlendorf führte im September 2000 die erste Babyklappe in Deutschland ein. Die Klinik bietet außerdem anonyme Geburten an, bei denen die Schwangere niemandem ihren Namen verraten muss. Pastor Gerhard Menn, der in der Klinik als Seelsorger arbeitet, sagt, seine Arbeit sei so ähnlich, wie jemandem die Beichte abzunehmen.
"Die Frauen, die zu uns kommen, möchten unerkannt bleiben. Wenn sie einen muslimischen Hintergrund haben, steht auch das Thema Ehrenmord im Raum. Oder es ist häusliche Gewalt oder Vergewaltigung mit im Spiel. Da fehlt den Frauen die Kraft, sich zu offenbaren", sagt Menn im DW-Gespräch: "Den anonymen Schutz, den sie sich vorstellen, können sie bei der vertraulichen Geburt nicht bekommen."
'Ich möchte mein Kind zurück'
Menn sagt, bei der vertraulichen Geburt sei es für die Frauen, die ihre Meinung ändern, zu kompliziert, ihr Kind wieder zurückzubekommen. Bei der anonymen Geburt in der Waldfriede-Klinik können sie sich bis zu zwei Monaten nach der Geburt relativ unbürokratisch entscheiden, ihr Kind doch zu behalten.
"Ich habe heute eine Email bekommen, von einer Frau, die vor zwei Jahren hier ihr Kind zur Welt gebracht hat", erzählt der Seelsorger: "Sie blieb nach der Geburt länger, als sie hätte bleiben müssen. Sie war die ganze Zeit beim Kind, hat mit ihm gekuschelt und ihm zu trinken gegeben. Dann ging sie, nach einem sehr emotionalen Abschied. Das Kind wurde für die Adoption vorbereitet."
Sie blieb mit dem Seelsorger in Kontakt: "Die Mutter rief jeden Tag an - wie es dem Kind gehe. Ich konnte ihr berichten, dass das Mädchen in eine Familie gekommen war - alles gut. Eine Woche später sagte sie 'Ich habe endlich mit meinen Eltern gesprochen und mit meinem Pastor. Ich möchte mein Kind zurück.'"
Die Frau fuhr mit jemandem von der Adoptionsstelle zu der neuen Familie, berichtet Gerhard Menn: "Das war sehr dramatisch, beide Seiten haben geweint. Aber sie hat ihr Kind zurück. Heute habe ich Bilder bekommen: ein kleines, munteres Mädchen, eine glückliche alleinerziehende Mutter".
Geschichten wie diese zeigten, sagt Menn, warum es auch unter dem Gesetz der vertraulichen Geburt einfacher werden müsse, für eine Frau, die ihr Kind später doch zurück haben will.