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Verwirrt und organisiert

Oliver Samson15. Juli 2002

Die französische Polizei beeilte sich zu erklären, dass der Chirac-Attentäter psychisch gestört sei. Doch die Wurzeln der Tat liegen nicht nur in einem kranken Kopf.

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Fast hätte Jacques Chirac den Kampf seines Lebens mit dem Leben bezahltBild: AP

Mag sein, dass Maxime Brunerie tatsächlich verwirrt ist. Und tatsächlich wurde der Attentäter nach Behördenaussagen in den letzten Jahren schon mehrfach psychiatrisch behandelt. Ebenso sicher ist jedoch, dass der 25-Jährige von rechtsextremen Hasstiraden inspiriert wurde. So gehörte er dem für seine Gewalttätigkeit berüchtigten Studentenbund "Groupe -Union-Défense" (GUD) an - und noch im letzten Jahr trat er sogar als Kandidat auf der Liste der rechtsextremen National-Republikanischen Bewegung (MNR) bei den Pariser Gemeindewahlen an.

Mégrets Muskeln

Die MNR entstand nach der Spaltung von Jean-Marie Le Pens "Front National" unter dessem langjährigem Vize Bruno Mégret. Le Pen verlor dabei nicht nur führende Köpfe seiner Partei, sondern auch einige Muskeln: Wie eine ganze Reihe von rechten Schlägertrupps zeigte auch die GUD seit 1999 zunehmend Sympathien für die MNR. Erst jetzt versucht ihr Vorsitzender Mégret auf Distanz zu gehen: Seine Partei lehne "jede Form von Extremismus ab", hieß es in einer Erklärung, und verurteile diese "schändliche Tat".

"Widerstandsnetz gegen linke Brut"

Die GUD entstand als Reaktion auf den "Mai 1968" als Auffangbecken für Rechtsradikale an der juristischen Fakultät Pantheon Assas in Paris. Gründer Alain Robert ging es darum, "ein Widerstandsnetz gegen die linke Brut" einzurichten. Aus dem ganzen Land schrieben sich Studenten mit braunen Ideen in Assas ein. Von Anfang an gehörte neben der Publikation von Propaganda Gewalt gegen Linke, Juden und Ausländern zur Vorgehensweise der GUD. So brachten GUD-Anhänger bei einer Jubiläumsfeier im November 1999 einen Farbigen um, der sich zufällig in der Nähe aufhielt. Punktuell unterhielt die GUD Kontakte zu französischen Skinhead- und Hooligan-Gruppen. Der französische Verfassungsschutz schätzt den harten Kern der konspirativ arbeitenden GUD auf "einige hundert Mitglieder". Der Attentäter ist seit 1997 bei der Polizei als "gefährlicher nationalistischer Hitzkopf" registriert.

Über die Motive des Attentäters zu mutmaßen, scheint daher fast müßig: Chirac liefert den Rechts-Extremen seit 15 Jahren einen erbitterten Kampf, den er unlängst als "Kampf seines Lebens" bezeichnete. Dafür wird er von den Rechten ebenso leidenschaftlich gehasst. Wiederholt bezeichnete Le Pen den Präsidenten als Verräter und Lügner. Die Geister, die er rief, versucht Le Pen nun kleinzureden. Bei Brunerie handele es sich "wahrscheinlich um einen Verrückten" und überhaupt glaube er gar nicht an einen "Attentatsversuch auf den Präsidenten", sagte Le Pen - mit dem lapidaren Nachsatz "was ich übrigens auch nicht wünschen würde".

Verwirrter mit kleinem Kaliber

Auch die französische Polizei erklärte schon wenige Stunden nach dem Attentat, dass der Attentäter einen verwirrten Eindruck gemacht habe. Angeblich wurde er nach der Vernehmung in eine psychiatrische Anstalt gebracht. Eine Erklärung, warum der Attentäter deutlich schwerer psychisch erkrankt sei, als seine politischen Spießgesellen der GUD, die wiederholt jüdische Friedhöfe geschändet und Andersdenkende tot geschlagen haben, blieb bisher aus. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft "Force Ouvriere" erklärte jedenfalls, auch er glaube nicht an eine Tat mit terroristischem Hintergrund. Mit einer eigentümlichen Erklärung: Dann hätte der Attentäter sicher eine Waffe mit größerem Kaliber benutzt.