Kaum Pflegekräfte aus dem Ausland
17. August 2020"Eines Tages wirst Du erzählen, wie Du es durchs Leben geschafft hast. Dann bist Du ein Beispiel für andere." Dieser Spruch steht auf einem Foto, das Herbert Otoniel Perez Victoriano auf Facebook gepostet hat.
Klingt nach einer großen Vision, doch für so manchen ist Perez Victoriano bereits ein Vorbild. Denn der 29-Jährige hat es aus dem Süden Mexikos nach Berlin an das Traditionskrankenhaus Charité geschafft. Dort arbeitet er als Krankenpfleger auf der Station 147 und kümmert sich um Menschen mit Infektions- und Lungenkrankheiten. Auch dem mittlerweile weltweit bekannten Virologen Christian Drosten sei er hier schon begegnet. "Klar sind meine Eltern stolz", sagt er etwas beiläufig und berichtet vom langen Weg nach Deutschland.
Der begann Ende 2016: Perez Victoriano wollte seinem Schicksal einen Schubs geben, folgte dem Aufruf eines Arbeitsvermittlers und büffelte Deutsch. Da hatte er bereits mehr ein Jahr Berufserfahrung als Krankenpfleger. Doch kurz vor dem Sprung nach Deutschland ging der Agentur das Geld aus. Perez Victoriano hatte auf das falsche Pferd gesetzt. Doch er hatte Glück im Unglück. Denn wegen seiner guten Lernfortschritte hatte ihm die Agentur zuvor eine Reise nach Berlin spendiert und ihn auch in der Charité vorgestellt. "Als die Agentur pleiteging, haben die gesagt: 'Mach Dir keine Sorgen. Du hast hart gearbeitet, wir schauen, wie wir dich hierher bekommen.'"
Seit November 2018 arbeitet er nun an der Charité mit nun mehr als 20 weiteren Krankenschwestern und Pflegern aus Mexiko.
Bis zu 300.000 offene Stellen bis 2030
Schon vor der Corona-Krise war der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen die wohl größte Aufgabe von Gesundheitsminister Jens Spahn. Im gesamten Pflegebereich fehlen laut Spahn rund 50.000 Pflegekräfte. Bis zum Jahr 2030 könnten es schon 300.000 sein, schätzt der Deutsche Pflegerat.
Weil das Problem nicht neu ist, läuft seit 2013 ein Programm der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) bei der Bundesagentur für Arbeit. Unter dem Namen "Triple Win" werden Pflegefachkräfte aus dem Ausland angeworben.
Der deutsche Gesundheitsminister wollte Mitte 2019 nochmals frischen Wind in die Anwerbeoffensive bringen. Zuerst reiste er in das Kosovo, dann nach Mexiko, um dort Anwerbeabkommen auf den Weg zu bringen. Kurz darauf etablierte er die Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa), die sich vor allem um die Erleichterung von Aus- und Einreise kümmert. Auf DW-Anfrage schreibt das Gesundheitsministerium, das derzeit alle Maßnahmen zur Anwerbung von Fachkräften wegen der Pandemie "auf unbestimmte Zeit unterbrochen" seien. Insgesamt liegen bei der DeFa vor allem mit Mexiko und den Philippinen für 1.300 Pflegefachkräfte Vereinbarungen vor.
Mexikanische Pflegekräfte sind gut ausgebildet
Auch der Personaldirektor des Klinikums Saarbrücken, Thomas Hesse, setzt auf ausländische Fachkräfte: "Wir müssen hier vor Ort mehr ausbilden und zusätzlich eben schauen, dass wir im Ausland rekrutieren. Nur so bekommen wir den Fachkräftemangel und damit die Entlastung der Pflegekräfte annähernd in den Griff", sagt Hesse im DW-Gespräch. Kurz vor Spahns Anwerbungsoffensive startete er gemeinsam mit der Uniklinik Homburg, den Carl Duisberg Centren und der ZAV bei der Bundesagentur für Arbeit eine Initiative, um Pflegepersonal aus Mexiko nach Deutschland zu holen.
Die Pflegekräfte dort seien sehr gut ausgebildet, sagt Hesse. Außerdem bestünden bereits Vereinbarungen zwischen den Arbeitsämtern beider Länder. Insgesamt 38 Mexikaner und Mexikanerinnen sollten ursprünglich bereits im Mai nach Deutschland einreisen. Doch stattdessen sitzen die Ausgewählten nun in Mexiko vor ihren Computern und lernen die Sprache. "Mitte August legen die Teilnehmer nun ihre Sprachprüfung ab. Danach kann man die Ausreise planen", so Hesse. Er rechnet damit, dass die neuen Fachkräfte im Oktober nach Deutschland kommen - alles natürlich unter "Pandemie-Vorbehalt".
Die deutsche Sprache war auch für Perez Victoriano die größte Hürde auf dem Weg in das Leben in Deutschland. "Es ist gut, sich da vorher reinzuhängen. Je besser Dein Deutsch ist, desto schneller kannst Du Dich in die Gesellschaft integrieren." Auf der Arbeit fühlt sich der 29-Jährige ernst genommen. Nach einer kurzen Ausbildungszeit verdient er heute dasselbe wie seine Kollegen, hat einen unbefristeten Vertrag und bis jetzt "keine schlechten Erfahrungen damit, Ausländer zu sein." Klar sei die Arbeit öfters "stressig", aber wenigstens gäbe es arbeitsrechtliche Regeln. Hier schätzte man die Patienten und auch die Angestellten. "Bisher habe noch keine Doppelschicht gemacht, in Mexiko ist das ganz normal."
Einmal mehr: Die Bürokratie als Problem
Deutschland habe bei der Rekrutierung von Fachkräften vor allem ein Bürokratieproblem, sagt Thomas Krakau, der beim privaten Klinikbetreiber Asklepios den Bereich Pflege leitet. "Es braucht ein vereinheitlichtes Anerkennungsverfahren für ausländische Fachabschlüsse." Derzeit koche jedes Bundesland sein eigenes Süppchen, das mache die Anerkennung von Ausbildungen und Studienabschlüssen aus dem Ausland sehr kompliziert und binde massiv Ressourcen.
Asklepios ist der zweitgrößte Klinikbetreiber in Deutschland. Insgesamt gehören rund 160 Krankenhäuser, Pflegeheime und andere Gesundheitseinrichtungen zum Konzern. Seine ausländischen Fachkräfte rekrutiert Asklepios selbst über Agenturen. Auch hier kommen viele Pflegekräfte aus Mexiko, aber vor allem von den Philippinen. Bei der Bürokratie habe die Initiative des Gesundheitsministers da bisher "leider keinen Unterschied gebracht", beklagt Krakau im Gespräch mit der DW.
Derzeit keine Rekrutierung geplant
Tatsächlich sprechen die Zahlen nicht wirklich für den durchschlagenden Erfolg der bisherigen Maßnahmen. Auf DW-Anfrage verweist die ZAV auf rund 4000 Pflegekräfte, die seit 2013 nach Deutschland gekommen sind. Menschen, die über andere Vermittlungsagenturen kamen, sind hier nicht eingeschlossen. Dieses Jahr werden es wohl auch nicht mehr werden. Geplante Rekrutierungen können "Coronabedingt für diesen Sommer vor Ort in unseren Partnerländern nicht stattfinden."
Herbert Otoniel Perez Victoriano würde nach seinen negativen Erfahrungen lieber über das "Triple-Win-Programm" einreisen und rät private Vermittlungsagenturen genau zu prüfen. "Nur so kannst Du sicher sein, dass Du am Ende nicht vielleicht noch draufzahlst." An Mexiko und die Familie denkt er derzeit viel, denn dort gehen die Corona-Infektionszahlen immer weiter nach oben. Beruflich denkt er derzeit nicht daran, nach Mexiko zurückzukehren. "Ich kann es nicht ausschließen, aber derzeit sehe ich meine Karriere hier in Deutschland."