Videobeweis: Fluch oder Segen?
27. November 2017Handspiel oder reguläres Tor? War der Treffer zum 1:0 von Pierre-Emerick Aubameyang beim spektakulären Revierderby zwischen dem FC Schalke 04 und Borussia Dortmund (4:4) am 13. Spieltag regelkonform? Schiedsrichter Denis Aytekin hatte auf Tor entschieden, der Videoschiedsrichter meldete sich nicht zu Wort. Die Diskussionen waren dennoch unvermeidbar. Für einige Zuschauer war es eine normale Körperhaltung des BVB-Angreifers, für die anderen eine aktive Aktion um das Tor zu erzielen. Eindeutig war die Szene nicht, die Schalker fühlten sich benachteiligt.
Es geht aber auch anders. Am Spieltag zuvor gab es eine unerwartete Reaktion von Rudi Völler: "Dieses Mal war alles in Ordnung. Der Schiedsrichter hat alles richtig entschieden", sagte der Sportdirektor von Bayer 04 Leverkusen. Das 2:2 gegen RB Leipzig hatte den 57-Jährigen überraschend milde gestimmt. In dieser Partie hatte der herbeigerufene Videobeweis dazu geführt, dass das Ergebnis entscheidend beeinflusst wurde. Bayer-Profi Benjamin Henrichs hatte nach einem Handspiel Rot gesehen und einen Elfmeter für die Sachsen verursacht.
An Völlers Grundhaltung hat das nichts geändert. "Ich war schon immer ein Gegner des Videobeweises. Man wird nicht mit Glück Deutscher Meister, und man steigt nicht mit Pech ab", sagte Völler.
Was hat zum Entscheidungschaos geführt?
Die Befürworter sind sich aber einig, dass dem Spiel durch die Videokontrolle mehr Gerechtigkeit widerfährt. Die Umsetzung bereitet indes Kopfzerbrechen. "Ich bin immer noch ein großer Freund des Videobeweises. Aber nur, wenn er so behandelt würde, wir er uns angekündigt wurde", sagt Schalkes Sportdirektor Axel Schuster. Allerdings sei in den vergangenen Wochen zu viel durcheinander geraten. Aber warum ist das so?
Zur Erinnerung: Eingesetzt werden soll der Videobeweis ausschließlich in vier Szenarien: Bei Torerzielung (Foul, Handspiel, Abseits und andere Regelwidrigkeiten), Strafstoß/Elfmeter (nicht oder falsch geahndete Vergehen), Roter Karte (nicht oder falsch geahndete Vergehen) und Verwechslung eines Spielers (bei Roter, Gelb-Roter oder Gelber Karte).
Weshalb sich die Video-Assistenten zuletzt bei allen möglichen Vergehen zu Wort meldeten, ist für alle Beteiligten rätselhaft. Wie sensibel und brisant dieses Thema derzeit ist, zeigt die Reaktion der Sport-Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule, die Kooperationspartner von DFB und DFL bei diesem Projekt ist. Derzeit wollen sich die Experten zu diesem Thema nicht äußern.
Erfolgreicher Einsatz in anderen Sportarten
Ganz anders wird der Videobeweis übrigens in den USA genutzt. Dort ist dieser seit längerer Zeit im Einsatz und ist akzeptiert. Allerdings ist die Herangehensweise an die Beweisführung eine andere. In den Vereinigten Staaten können die Schiedsrichter dazu aufgefordert werden, eine Situation zu überprüfen.
Etwa beim American Football (NFL), beim Eishockey (NHL) oder auch beim Baseball (MLB). Die Teams haben die Möglichkeit, eine jeweils festgelegte Anzahl von "Challenges" zu nutzen und die Szenen ihrer Wahl überprüfen zu lassen. Gegen diese Herangehensweise im Profi-Fußball hatte sich aber das für das Fußball-Regelwerk zuständige International Football Association Board (IFAB) ausgesprochen.
Auch bei internationalen Hockey-Wettbewerben sind Videobeweis und "Challenge" seit dem Jahr 2008 ein Mittel der Wahl. "Auch bei uns läuft nicht immer alles problemlos ab. Aber der Videobeweis hat sich über die Jahre weiterentwickelt", sagt Herren-Bundestrainer Stefan Kermas: "Nur bei Tor-relevanten Szenen kann der Videobeweis von den Spielern gefordert werden. Beim Fußball scheinen noch nicht alle Szenerien durchdacht worden zu sein. In unserer Sportart hat der Videobeweis insgesamt zu mehr Gerechtigkeit geführt."
Sollen Schiedsrichter auch Video-Schiedsrichter sein?
Schalkes Sportdirektor Schuster stellt zudem die Frage, ob die hochqualifizierten Schiedsrichter, "die es gewohnt sind und dafür ausgebildet wurden, in Sekundenschnelle Entscheidungen zu treffen", die Richtigen seien, "wenn es darum geht, Szenen vor dem Bildschirm zu beurteilen"?
"Das sind Top-Entscheider. Ich würde mir eine Mischung aus jungen Schiedsrichtern und ehemaligen Profis wünschen, die in Köln vor den Monitoren sitzen", sagt Schuster, auch um damit gegenseitige Akzeptanzprobleme unter den Schiris auszuschließen.
Viel Arbeit auch in anderen Fußball-Ligen
Der deutsche Fußball steht aber nicht alleine mit seinen Problemen da. Auch in Italien beschwerte sich Juventus-Keeper Gianluigi Buffon nach der Einführung des Videobeweises über die "häufigen Spielunterbrechungen". Und Schiedsrichterchef Nicola Rizzoli fügte hinzu: "Wir müssen dafür sorgen, dass er weniger gebraucht wird. Man kann nicht bei jedem Zweifelsfall auf den Videobeweis zurückgreifen."
Und ähnliche (erste) Erfahrungen dürfte auch die Primera Division ab der kommenden Saison machen, wenn auch in Spanien der Videobeweis eingeführt wird.
Kermas ist jedenfalls zuversichtlich, dass der Videobeweis auch im Fußball zum Erfolg werden kann. "Dem Projekt muss man mehr Zeit geben, dann wird es auch auf den Fußball eine positive Wirkung haben", sagt der Hockey-Bundestrainer.