Videoblog auf nordkoreanisch
7. Juni 2016Schwarzbild. Getragene Klaviermusik setzt ein. Dann wird langsam ein Klassenraum eingeblendet. Eine junge Frau mit kinnlangen Haaren sitzt dort zusammen mit anderen. Sie trägt eine Schuluniform, grauer Blazer über weißer Bluse. Und: auf der linken Seite des Blazers – knapp oberhalb des Herzens - ein roter Anstecker mit dem Gesicht des nordkoreanischen Staatsgründers und "Ewigen Präsidenten", Kim Il Sung, darauf. Daneben das seines Sohnes, Kim Jong Il.
Das Mädchen fängt an zu erzählen: "Ich heiße Mi Hyang und studiere im ersten Jahr Englisch an der Pyongyang University of Science and Technology (PUST)." Mi Hyang ist die Protagonistin des ersten #link:http://www.youtube.com/watch?v=bSrzIOPFN5Y:Videoblogs#, den die PUST vor ein paar Tagen auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hat. Weitere sollen folgen, jeden Monat ein neuer. Beim nächsten Mal wird es um die Zahnklinik gehen, steht bei Facebook geschrieben. Das Ganze mit dem Ziel, "einen Blick auf den Alltag in unserer Universität zu erhaschen".
Online im Land der Kims
Dass es überhaupt eine Facebook-Seite gibt, ist an sich schon bemerkenswert. Denn Nordkorea ist weitgehend offline. Zugriff auf das klassische Internet hat kaum jemand. Nach einem Anfang 2016 herausgegebenen Bericht der Kommunikationsagentur "We are social" nutzen in Nordkorea ungefähr 7000 Menschen das Internet. Dabei handle es sich aber vor allem um ausländische Geschäftsleute, die mit ihren Smartphones ihre Facebook-Seiten abrufen, so ein Sprecher der Agentur.
Für die eigenen Bürger setzt die nordkoreanische Führung dagegen auf ein streng staatlich kontrolliertes Intranet. Die PUST allerdings stellt eine Ausnahme dar. Sie ist mit dem World Wide Web verbunden. Denn die Elite-Uni für die hohen Söhne und mittlerweile auch Töchter Pjöngjangs wird von evangelikalen Missionaren aus dem Ausland geleitet, sämtliche Professoren stammen aus dem Westen.
Auch Studenten hätten dort Zugang zum Internet, erklärte der Kanzler der Uni, Park Chan-Mo kurz nach der Eröffnung der PUST gegenüber der südkoreanischen Zeitung Korea Times. "Sie dürfen es zu Recherchezwecken nutzen." Inwieweit die Studenten dabei überwacht werden? Die Antwort darauf fällt ausweichend aus. Es gebe einen "Helpdesk", falls jemand Fragen zum Umgang mit dem Internet habe. Insgesamt würde das Netz an der Universität zu rein wissenschaftlichen Zwecken genutzt.
Elite-Uni mit Widersprüchen
Gegründet wurde die Pyongyang University of Science and Technology im Jahr 2010 von einem gebürtig aus Südkorea stammenden US-Amerikaner. Anfangs wurden nur 160 Studenten aufgenommen, mittlerweile sind es laut der Uni-Website 560. Finanziert wird die PUST ausschließlich aus Spenden und Kirchengeldern – die nordkoreanische Führung übernimmt keinerlei Kosten für die Ausbildung der künftigen Oberschicht. Und: Über ihren Glauben dürfen die christlichen Lehrkräfte auf dem Campus nicht offen sprechen.
Christen werden in Nordkorea so stark verfolgt wie in kaum einem anderen Land der Welt. "Fast ironisch" nennt die US-Journalistin Suki Kim diese Widersprüche. Für sie ist die Existenz der Uni ein Indiz für die Überzeugung innerhalb der nordkoreanischen Führung, das Land nicht ganz von der Außenwelt abzuschotten. Fremdes Know-How jedenfalls ist gefragt, um den eigenen Nachwuchs möglichst nach internationalen Standards fit zu machen für die Zukunft.
Erfahrungsbericht einer Journalistin
Suki Kim kennt die PUST aus eigener Erfahrung. Die in Seoul geborene Autorin war als Kind mit ihren Eltern in die USA ausgewandert, interessierte sich aber immer für die Geschichte ihres geteilten Heimatlandes. Im Jahr 2011 verbrachte sie ein Semester an der Uni in Pjöngjang - getarnt als "gewöhnliche" Lehrerin. Tatsächlich aber recherchierte sie für ein Buchprojekt über ihre Erfahrungen dort. "Without you, there is no us" erschien im Jahr 2014. Der Titel bezieht sich auf ein Lied, das die Studenten jeden Tag beim Marschieren zum Unterricht sangen - zu Ehren des damals noch lebenden Führers Kim Jong Il.
In ihrem Buch schreibt Suki Kim immer wieder von der verstörenden Erfahrung, pausenlos unter Beobachtung zu stehen, sich nicht frei und niemals allein bewegen zu können. Es zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Zeit dort. "Das Gefühl der ständigen Überwachung saugte mich aus. Es war, als wäre ich lebendig begraben oder als würde mir Sand ins Gesicht geblasen."
Glück, ganz demonstrativ
Einen ganz anderen Eindruck wollen offenbar die Macher des Video-Blogs vermitteln, der auf der PUST-Facebook-Seite zu sehen ist. 'Schaut her, wir sind modern, weltoffen, hier gibt es alles, was man sich wünschen kann' – so könnte man die unterschwellige Botschaft zusammenfassen. Der großzügige Campus ist im Bild zu sehen, dazu hört man die Stimme von Erstsemester Mi Hyang. Die Studentin erzählt, wie nervös sie vor dem Zusammentreffen mit den ausländischen Professoren anfangs war.
Mi Hyang wird im Unterricht gezeigt, mit konzentriertem Blick schreibt sie etwas auf. Die nächste Einstellung soll wohl demonstrieren, dass auch der Spaß nicht zu kurz kommt im nordkoreanischen Uni-Alltag. Zwei Kommilitoninnen sitzen lachend auf ihrer Schulbank. Danach sieht man Mädchen, die sich gut gelaunt draußen sammeln und dann losmarschieren. "Ich studiere und lebe hier auf dem Campus mit meinen Kommilitonen und Freunden. Alles machen wir gemeinsam." Besonders schön finde sie es, im Schlafsaal mit den anderen Mädchen noch einmal über die Dinge zu sprechen, die im Unterricht durchgenommen wurden. Das sei "sehr lustig".
Mit den Füßen fest auf nordkoreanischem Boden
Jeder Satz der jungen Frau wirkt einstudiert, hölzern. Die Freude, die sie vermitteln will oder soll - nicht echt. Sie treibe gern Sport, sagt Mi Hyang – während man tanzende Mädchen in einem Video sieht. "Manchmal spielen wir draußen Volleyball. Oder Mini-Badminton, das ist eine spezielle Form von Badminton. Kennen Sie es? Nein? Vielleicht können Sie es hier mal sehen." Schüchtern lächelt sie in die Kamera.
In Nordkorea gebe es einen Leitspruch, berichtet sie weiter. "Hier sagt man: Bleib mit den Füßen fest auf dem Boden deines Vaterlandes und richte dabei deine Augen auf die Welt." Den Spruch kennt auch Suki Kim. Sie zitiert ihn ebenfalls in ihrem Buch. Er stehe an den Wänden des Treppenhauses, dort, wo auch die allgegenwärtigen Bilder von Kim Il Sung und Kim Jong Il hingen.
Ausführlich berichtet die Autorin auch, dass ihre Studenten keine Ahnung von der Welt außerhalb Nordkoreas gehabt hätten. Sie seien davon ausgegangen, dass ihre Heimat jenseits der Grenzen einen guten Ruf genieße. Und sie hätten stets versucht, ihr Land und ihr Leben immer in einem positiven Licht darzustellen – kleinere Pannen inklusive. "Ein Student gab zu, dass keiner der Schüler ein eigenes Handy hätte. Sein Zimmernachbar fügte schnell hinzu, dass eigentlich alle über ein Mobiltelefon verfügten, dieses aber beim Eintritt in die Uni bereitwillig abgegeben hätten, um sich ganz auf ihre Studien konzentrieren zu können."
Ärztin fürs Vaterland
Sich ganz auf darauf konzentrieren, das möchte auch Mi Hyang. Sie träumt davon, später einmal Ärztin zu werden. Und hofft, durch ihr Studium an der aus dem Ausland finanzierten Elite-Uni diesem Ziel ein Stück näher zu kommen. "Und dann kann ich sagen: Vielen Dank, dass Sie mir helfen, meinen Traum zu verwirklichen. Für mein Vaterland."
Damit endet der versprochene "Blick auf den Alltag" auf dem Campus. Mi Hyang lächelt in die Kamera, während das Musikstück, das während des ganzen Films vor sich hin plätscherte, punktgenau zum Ende kommt. Dann wird das Bild langsam schwarz.