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Viel Lärm um Thilo Sarrazin

25. August 2010

Berlins ehemaliger Finanzsenator hat ein Buch geschrieben, in dem er seine Angst vor Überfremdung polemisch ausformuliert. Sarrazin erzeugt viel Wirbel mit seinen Thesen - vor allem, weil er sich geschickt inszeniert.

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Thilo Sarrazin (Foto: AP)
Thilo Sarrazin fürchtet Fremder im eigenen Land zu werdenBild: AP

Thilo Sarrazin hat offenbar Freude daran, mit Worten zu provozieren und die Öffentlichkeit aufzurühren. Der ehemalige Finanzsenator der Bundeshauptstadt und Bundesbankvorstand macht es immer wieder. Früher ging er gegen übelriechende Beamte an und empfahl Arbeitslosen, in den kalten Wintermonaten lieber Pullis zu tragen, als zu heizen. Danach wandte er sich den Integrationsproblemen von Türken und Arabern zu.

Seine Ansichten hat Sarrazin nun in einem Buch zusammengefasst. Das Werk hat 464 Seiten und heißt "Deutschland schafft sich ab - wie wir unser Land aufs Spiel setzen". Es soll eine Gesamtschau der gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands bieten und behandelt unter anderem die Themen Zuwanderung und Bildung. Und wieder ist das öffentliche Echo groß.

Die Werbetrommel für Sarrazins Buch wird geschickt gerührt: Eine Woche vor der eigentlichen Buchvorstellung beginnt die "Bild"-Zeitung eine Serie von Auszügen vorab zu drucken, auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" räumt Sarrazin-Kostproben viel Platz ein. Sarrazin und sein Verlag wissen, welche Medien die größte Aufregung in Deutschland erzeugen. Dann wettert der ehemalige Finanzsenator im Programm von "Deutschlandradio Kultur": "Für die Gesamtheit der muslimischen Einwanderung in Deutschland gilt die statistische Wahrheit: In der Summe haben sie uns sozial und auch finanziell wesentlich mehr gekostet, als sie uns wirtschaftlich gebracht haben."

Umstrittene Zahlenbasis

Integrations- und Migrationsbeauftragte von Berlin, Günter Piening (Foto: dpa)
Günter Piening sieht in Sarrazin einen "Wiederholungstäter"Bild: picture-alliance

Manche Politiker wie der Integrations- und Migrationsbeauftragte von Berlin, Günter Piening, schütteln den Kopf, wenn sie sich die Belege und Argumente für Sarrazins Thesen ansehen. "Berlin hätte ohne die Zuwanderer überhaupt nicht überlebt", stellt Piening fest, "die Struktur hinter Sarrazins Argumentation ist, dass er sehr verallgemeinert und Statistiken halbherzig zusammenfügt".

Für Pienings Sichtweise spricht, dass Sarrazin viel zur muslimischen Migration zu sagen hat, was schwer zu prüfen ist, weil in den amtlichen Statistiken die Religion nicht erfasst wird. Nuran Yigit vom Migrationsrat Berlin/Brandenburg beobachtet mit Sorge, dass die Argumentationsweise Sarrazins auf den Alltag der Migranten durchschlägt und das Klima vergiftet.

Integrationspolitik ist erst spät ein Thema in Deutschland geworden. Und, dass es noch immer in vielen Bereichen Probleme bei der Zuwanderung gibt, wird auch von engagierter Seite nicht bestritten. Doch der Ton Sarrazins wird als wenig hilfreich empfunden. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, findet ihn "diffamierend und verletzend".

Verärgerte Parteifreunde

Sarrazin ist SPD-Mitglied und für die Spitze seiner Partei kommen seine Äußerungen wieder einmal ungelegen. Parteichef Sigmar Gabriel findet die Aussagen zum Teil "dämlich" und "gewalttätig", aber offenbar nicht ganz unmöglich. Er betonte zugleich, dass er "aber auch die intellektuelle Auseinandersetzung" wolle, denn neben vielen inakzeptablen Äußerungen spreche er auch Dinge an, über die ernsthaft nachgedacht werden müsse.

So nett spricht man in der Berliner SPD nicht mehr über den Parteigenossen: Schon als Sarrazin im Frühjahr der Zeitschrift "Lettre International" erklärte, dass sich die "produktive Funktion" von Arabern und Türken auf den Obst- und Gemüsehandel beschränke, wollten zwei Berliner Ortsverbände einen Parteiausschluss. Jetzt reicht es auch dem Chef von Sarrazins Ortsverband Wilmersdorf-Charlottenburg. "Ich kann auf solche Mitglieder als Kreisvorsitzender gut verzichten", sagte Christian Gaebler in einem Zeitungsinterview.

Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles legte Sarrazin indirekt einen Parteiaustritt nahe. Er sei ein "unterbeschäftigter Bundesbanker mit ausgeprägter Profilneurose - das alleine wäre noch nicht bemerkenswert, aber er missbraucht den Namen der SPD", sagte Nahles dem "Hamburger Abendblatt" (Donnerstagsausgabe). "Wer einzelne Bevölkerungsgruppen pauschal verächtlich macht und gegeneinander aufbringt, treibt ein perfides, vergiftetes Spiel mit Ängsten und Vorurteilen und hat mit den Werten und Überzeugungen der SPD rein gar nichts mehr zu tun", fügte sie hinzu.

Anerkennende Worte

Aber es freuen sich nicht wenige über Sarrazins forsche Äußerungen. In der Tageszeitung "Die Welt" würdigt Kommentator Michael Stürmer: "Thilo Sarrazin tut dem Lande einen Dienst, indem er regelmäßig Fehlsteuerungen der Sozial- und Einwanderungspolitik ungeschminkt beim Namen nennt."

Die rechtsradikale NPD jubelt, dass Sarrazin "ein regelrechtes NPD-Buch" schreibe und dafür sorge, dass "die Überfremdungskritik der NPD endgültig salonfähig" gemacht würde.

Das Buch wird am kommenden Montag (30.08.2010) erscheinen.

Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Katrin Schilling / Kay-Alexander Scholz