Barrierefrei reisen in Deutschland
6. November 2023Urlaub machen ist für Menschen mit Behinderung in Deutschland nicht immer einfach. Bernhard Endres kennt das aus eigener Erfahrung, er ist auf einen Rollstuhl angewiesen. "Wenn ich einen Urlaub plane, ist es ein ewiges Suchspiel, bis ich etwas Passendes gefunden habe", sagt er. Häufig seien die Informationen zu baulichen Barrieren etwa in einem Hotel oder einer Ferienwohnung nur schwer zu bekommen. "Viele sagen: Ja, wir sind barrierefrei. Vor Ort stellt sich dann aber heraus, dass das gar nicht stimmt." Der Rollstuhl passt nicht ins Badezimmer oder irgendwo ist doch eine Stufe.
Die Lage ist mehr als bescheiden
Endres ist Mitglied im Fachteam Tourismus beim Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter und weiß daher genau, wie es um die Barrierefreiheit in Deutschlands Tourismusbranche bestellt ist. "Freundlich formuliert: Die Lage ist mehr als bescheiden", sagt er. Das sieht auch Jonas Fischer so, Referent für Barrierefreiheit beim Sozialverband VdK: "Wir sind in Deutschland weit entfernt davon, eine flächendeckend barrierefreie Tourismusinfrastruktur zu haben." Das bedeute eine massive Einschränkung für Menschen mit Behinderung.
Dass die Perspektive von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oft im Vordergrund steht, liege daran, dass in diesem Bereich meist bauliche und vergleichsweise aufwendige Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit nötig sind. "Wir kritisieren aber mindestens genauso, dass viele Museen, Freizeitparks und andere Einrichtungen nicht nach dem Zwei-Sinne-Prinzip funktionieren, also kein Angebot für Menschen mit einer Sinnesbeeinträchtigung vorhalten", sagt Fischer. Der Sozialverband VdK fordert deshalb, dass nicht mehr nur öffentliche Träger zur Barrierefreiheit verpflichtet sein sollen, sondern auch private. In den USA etwa sei das schon lange der Fall.
Detaillierte Urlaubsplanung ist schwierig
Eine der höchsten Hürden für behinderte Reisende ist der Mangel an verlässlichen Informationen. Gerade sie nämlich sind darauf angewiesen, ihren Urlaub detailliert planen zu können. Um hier Abhilfe zu schaffen, gibt es seit 2011 das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Kennzeichnungssystem "Reisen für Alle". Auf der entsprechenden Internetseite (www.reisen-fuer-alle.de) kann man sich touristische Angebote anzeigen lassen, die zwar bei weitem nicht alle komplett barrierefrei sind, aber ausnahmslos ein strenges Zertifizierungsverfahren durchlaufen haben.
Man erfährt hier also beispielsweise, dass das Pflaster rund um das Brandenburger Tor ein Gefälle von einem Prozent in Richtung Fahrbahn hat, dass es im Naumburger Dom Führungen für blinde Menschen gibt und dass der Weg vom Parkplatz zum Hambacher Schloss 100 Meter lang ist. Auch die genauen Abmessungen des öffentlichen WCs im Gutenberg-Museum in Mainz sind hier nachzulesen. Ebenso detaillierte Informationen gibt es zu Hotels, Campingplätzen, Restaurants, Geschäften, Stränden und anderem mehr.
Kaum verlässliche Informationen
Der Haken an der Sache: "Reisen für Alle" listet landesweit derzeit gerade einmal 2828 Einrichtungen, Orte und Betriebe auf. Die Gesamtzahl der touristisch relevanten Objekte in Deutschland derweil liegt einer Schätzung des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft zufolge bei 200.000 bis 250.000. Verlässliche Informationen zum Stand der Barrierefreiheit gibt es also nur bei einem Bruchteil davon. Einer der Gründe dürfte sein, dass die Zertifizierung kostenpflichtig ist. Außerdem muss sie alle drei Jahre erneuert werden.
Reisenden mit Behinderung bleibt in Deutschland also auch weiterhin nichts anderes übrig, als sich die Informationen zur Barrierefreiheit etwa einer bestimmten Sehenswürdigkeit oder einer touristischen Unterkunft selbst zusammenzusuchen. Wer etwa den Kölner Dom oder das Schloss Neuschwanstein besichtigen möchte, der bekommt auf den jeweiligen Internetseiten die wichtigsten Informationen, wenngleich längst nicht so ausführlich und auch nicht standardisiert wie auf "Reisen für Alle".
Auch die Deutsche Zentrale für Tourismus, die Deutschland international als Reiseland vermarktet, betont die Bedeutung der Sichtbarkeit barrierefreier Angebote. Man wolle Deutschland als Destination positionieren, die allen Menschen aktive Teilhabe am Tourismus ermöglicht. Das sieht man auch beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) so. "Es gehört zur DNA von Hoteliers und Gastronomen, für alle Gäste der bestmögliche Gastgeber zu sein. Das gilt selbstverständlich auch für Gäste mit Behinderungen", sagt Sandra Warden, Geschäftsführerin im DEHOGA Bundesverband.
"Der Stellenwert von Barrierefreiheit ist deshalb in den letzten Jahren gewachsen und das Thema wird bei Neubauten mitgedacht." In Bestandsbauten sei es dagegen wesentlich aufwendiger, Barrierefreiheit herzustellen, oft sogar unmöglich. Unterschätzt werde zudem häufig, dass rollstuhlgerechte Zimmer deutlich mehr Platz als herkömmliche Zimmer benötigen. Das sei ein erheblicher Kostenfaktor.
22 Prozent aller Bahnhöfe sind nicht stufenfrei erreichbar
Zumindest an den deutschen Flughäfen wissen Passagiere mit eingeschränkter Mobilität, was sie erwartet. Laut EU-Recht gibt es einen Anspruch auf kostenlose Unterstützung bei der Abfertigung, beim Ein- und Aussteigen. Reisende müssen dies bei Bedarf allerdings vorab bei ihrer Airline anmelden. Auch beim Umsteigen in die Eisenbahn gibt es Hilfsangebote, zumindest an den großen Bahnhöfen. Laut Sozialverband VdK waren allerdings noch im Jahr 2020 die Bahnsteige von etwa 22 Prozent aller 5400 Bahnhöfe in Deutschland nicht stufenfrei erreichbar.
Und so werden Menschen wie Bernhard Endres wohl auch weiterhin die eine oder andere böse Überraschung erleben. Er selbst etwa habe schon zu hören bekommen, dass man ihn doch einfach die paar Stufen hinauftragen könne, mit denen er sich in einem Hotel trotz gegenteiliger Aussage konfrontiert sah. "Herumtragen lasse ich mich aber nicht", sagt er. "Wir haben auch unsere Würde."