Viele Rechtsextremisten bei Polizei & Co.
13. Mai 2022Franco A., Soldaten beim KSK, NSU 2.0 – hinter jedem einzelnen Namen steckt ein mutmaßlicher Rechtsextremist oder gleich eine ganze Gruppe mutmaßlicher Staatsfeinde. Leute, die in Chat-Gruppen Fotos von Adolf Hitler teilen, irgendwo Waffen horten oder gleich den Umsturz in Deutschland planen. Ihr Geld verdienen sie bei der Bundeswehr, der Polizei, Geheimdiensten, beim Zoll – kurz: Sie arbeiten in Sicherheitsbehörden, die für den Schutz Deutschlands zuständig sind.
327 mutmaßliche Verfassungsfeinde in drei Jahren
Wird aber die Integrität von innen heraus geschädigt, "dann ist dies besonders gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie", sagt die deutsche Innenministerin Nancy Faeser. Zusammen mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, hat sie in Berlin den aktuellen Lagebericht Rechtsextremisten, "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Sicherheitsbehörden vorstellt. Die erste Bestandsaufnahme war noch von Faesers Vorgänger Horst Seehofer in Auftrag gegeben worden.
Erfasst sind alle zwischen Juli 2018 und Juni 2021 registrierten Fälle, in denen Staatsdiener Anlass gegeben haben, an ihrer Verfassungstreue zu zweifeln. Bei 533 der 860 überprüften Personen aus Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder konnte Entwarnung gegeben werden. Übrig blieben 327 Verdachts- und erwiesene Fälle auf "tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung".
"Sie haben mitunter Zugang zu Waffen"
Thomas Haldenwang fasst das Ergebnis mit einem Wort zusammen: "erschreckend". Jeder Verfassungsfeind sei dabei "auch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Mitarbeitenden, die mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen". Tatsächlich hat das Image der Sicherheitsbehörden in den zurückliegenden Jahren massiv gelitten. Innenministerin Nancy Faeser verweist auf das hohe Gefahrenpotential: "Sie haben Zugriff auf sensible Daten, sie haben Spezialwissen und mitunter Zugang zu Waffen."
Die lange Zeit aufrecht erhaltene These von Einzeltätern hält die Sozialdemokratin für überholt. "Nein, sie bewegen sich in Netzwerken." Allerdings nicht innerhalb der Sicherheitsbehörden, "sondern in einem privaten Umfeld". Kontakte entstehen laut Lagebild in den unterschiedlichsten Milieus: auf Demonstrationen, bei Kampfsport- und Musikveranstaltungen oder an Stammtischen.
(Noch) keine Hinweise auf überregionale Netzwerke
Dabei handelt es sich nach bisherigen Erkenntnissen vor allem um ein regionales Phänomen. "Wir haben keine Fälle aufdecken können, wo Beamte aus Frankfurt mit Beamten aus Berlin oder München irgendwie in Kontakt stehen und gemeinsame Ziele verfolgen", sagt Thomas Haldenwang. Er würde das aber niemals ausschließen, betont der BfV-Präsident.
Die mit großem Abstand meisten in Netzwerken erfassten Verdachtsfälle werden dem gewaltorientierten Rechtsextremismus zugerechnet: 53,6 Prozent. Reichsbürger und Selbstverwalter, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen, machen gut sieben Prozent aus. Und bei knapp drei Prozent wurden Kontakte zur sogenannten Neuen Rechten festgestellt.
Kontakte zur AfD
Gallionsfigur dieser sich intellektuell gebenden Szene ist der Verleger Götz Kubitschek. Bei ihm wiederum finden sich Anknüpfungspunkte zur rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei sitzt im Bundestag und in 15 von 16 Landesparlamenten. Unter ihren Abgeordneten sind auch Staatsdiener. Ob im Schuldienst, in der Justiz oder eben in Sicherheitsbehörden – die Sensibilität für Rechtsextremisten und andere mutmaßliche Verfassungsfeinde hat sich nach Thomas Haldenwangs Einschätzung deutlich erhöht.
Auch durch Presseberichte, betont der Verfassungsschutz-Chef. Ob in seiner eigenen Behörde oder einer anderen – mit Schulungen soll der Blick weiter geschärft werden. Wenn nötig, auch mit externer Unterstützung – denn: "Mit dem Missverständnis, man könne solche Probleme in den eigenen Reihen irgendwie regeln, ist gründlich aufgeräumt worden", sagt Haldenwang.
Nancy Faeser will Rechtsextremisten schneller los werden
Ihren Job verloren haben aufgrund der Vorwürfe bisher vergleichsweise wenige Staatsdiener. Rund 500 arbeits- und disziplinarrechtlichen Verfahren wurden eingeleitet, aber lediglich 60 Betroffene wurden entlassen oder nicht als Beamte übernommen. Um Verfassungsfeinde künftig schneller loswerden zu können, will Innenministerin Nancy Faeser schon bald einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes vorlegen. Es sei unbefriedigend, dass sich die Verfahren meistens über mehrere Jahre hinzögen.