Vielversprechende Impfung gegen Hirntumoren
22. April 2021Mit einer therapeutischen Impfung erfolgreich gegen Hirntumoren zu kämpfen, scheint in greifbare Nähe gerückt zu sein. Im Erbgut der sogenannten diffusen Gliome gibt es häufig Mutationen, die Proteine krebstypisch verändern. In einer Studie haben Forscher aus Heidelberg und Mannheim einen Impfstoff geprüft, der sich gezielt gegen ein solches mutiertes Protein richtet. Dieser mutationsspezifische Impfstoff macht das Immunsystem der Patienten auf diese mutierten Proteine aufmerksam, das darauf im besten Fall mit einer Immunreaktion reagiert.
An der Studie hatten insgesamt 33 Patienten verschiedener Altersgruppen teilgenommen. Gliome können prinzipiell in jedem Alter auftreten, auch bei jüngeren Personen. Meist sind jedoch Menschen ab dem 40. Lebensjahr betroffen. Gliome gehören zu den häufigsten Hirntumoren im Erwachsenenalter. Sie wachsen meist diffus, sind also nicht abgegrenzt und können daher durch eine Operation meist nur unzureichend entfernt werden. Selbst wenn die Mediziner zusätzlich Chemotherapie und Bestrahlung einsetzen, ist die Therapie nur begrenzt wirksam.
Diffuse Gliome zeigen in mehr als 70 Prozent aller Fälle ein und dieselbe Genmutation, die im Prinzip eine Art Schreibfehler im Erbgut ist. Dieser führt dazu, dass ein Eiweißbaustein in einem Enzym mit der Bezeichnung IDH1 ausgetauscht wird. Diese neu entstandene Proteinstruktur kann das Immunsystem als fremd erkennen. Genau da setze die Impfung an, sagt Dr. Theresa Bunse vom Deutschen Krebsforschungszentrum, dkfz.
Die Biomedizinerin war maßgeblich an der Entwicklung des Impfstoffes beteiligt. "Die Impfung richtet sich nur gegen die Tumorzellen und nicht gegen gesundes Gewebe. Das ist ein ganz klarer Vorteil dieser sogenannten mutationsspezifischen Impfungen." Die IDH1-Mutation komme nur im Tumorgewebe vor, nicht aber in gesundem, und sie verfügt über weitere, wichtige Merkmale.
"Diese IDH1-Mutation tritt bei der Entstehung eines Tumors schon sehr früh auf. Alle Tumorzellen zeigen daher diese Mutation. Bei anderen Tumoren ist das meist nicht der Fall. Häufig ist ein Tumor ein Mosaik aus verschiedensten genetischen Veränderungen."
Mit einer Impfung könne man dann nicht alle Tumorzellen erreichen, sie lassen sich nicht so zielgerichtet behandeln. Von daher ist die IDH1-Mutation ideal für die Impfung. Sie richtet sich spezifisch gegen die Krebsmutation und unterstützt außerdem das körpereigene Immunsystem, ohne gesunde Zellen anzugreifen oder ihnen zu schaden.
Der Weg bis zur Studie
Zunächst hat das Team um Professor Michael Platten, der u.a. Direktor der Neurologischen Klinik Mannheim ist, das IDH1-Protein mit der charakteristischen Mutation synthetisch nachgebaut und Versuche an Mäusen durchgeführt. Diese waren erfolgreich, der Impfstoff konnte das Wachstum der IDH-1-mutierten Krebszellen aufhalten. Der logische nächste Schritt war dann eine Phase1-Studie an Patienten. An ihnen überprüften die Forscher die Wirkung des Impfstoffes auf Patienten.
Ausgewählt wurden sie in erster Linie aufgrund ihrer Erkrankung. Sie alle hatten ein Gliom, einen primären Hirntumor, an dem sie erkrankt waren. "Die Patienten, die wir geimpft haben, hatten aufgrund der Beschaffenheit des Tumors eine eher schlechte Prognose."
Eine Ergänzung, kein Ersatz
Die Impfung wurde mit anderen Behandlungsmaßnahmen kombiniert. "Die Standard-Therapie kam hinzu. Die besteht zunächst einmal aus der Resektion, also der operativen Entfernung des Tumors. Zusätzlich erhalten Patienten eine Chemotherapie, eine Bestrahlung oder eine kombinierte Radio-Chemotherapie."
Diese Komponenten zusammen haben vielversprechende Ergebnisse geliefert. In den meisten Fällen ist jede dieser Optionen alleine nur sehr begrenzt wirksam. Im Zusammenspiel mit der Impfung aber gibt es durchaus Hoffnung für Patienten mit einem Gliom.
Gute Ergebnisse
Bei 93 Prozent der Patienten reagierte deren Immunsystem im Blut auf die Impfung. "Wir konnten nachweisen, dass die aktivierten, mutationsspezifischen Immunzellen in das Tumorgewebe im Gehirn eingewandert sind", so Bunse.
Die Probanden waren in regelmäßigen Zeitabständen geimpft worden. "Wir haben die Patienten insgesamt acht Mal geimpft, anfangs alle zwei Wochen, später alle vier Wochen. Wir haben die Impfung also relativ häufig durchgeführt."
Der Impfstoff wurde subkutan in den Oberschenkel injiziert. Nebenwirkungen habe es kaum gegeben, sagt Bunse. "Die häufigsten Nebenwirkungen, die wir gesehen haben, waren lokal an der Einstichstelle. Es waren also Hautreaktionen, die auch bei anderen Impfungen auftreten."
Anhand von Blutproben wurde untersucht, ob das Immunsystem der Patienten mit der Bildung von Antikörpern und der Aktivierung einer zellulären Immunantwort auf den Impfstoff reagiert hatte.
Die Auswertungen der Studie zeigten vielversprechende Ergebnisse. Drei Jahre nach Beginn der Studie lebten noch 84 Prozent der vollständig geimpften Patienten. 63 Prozent stabilisierten sich; bei ihnen war das Gliom nicht gewachsen.
Pseudoprogression
Bei einem Großteil der Geimpften konnten die Wissenschaftler eine sogenannte Pseudoprogression feststellen. Nachgewiesen wird sie während der Verlaufskontrolle mittels Magnetresonanztomographie (MRT), einem bildgebenden Verfahren, das auch zur Diagnostik dient. "Wir nennen es eine Pseudoprogression, weil es so ähnlich aussieht, als wäre der Tumor zurückgekommen", erläutert Bunse. "Sieht man sich die Bilder dann aber ganz genau an, erkennt man, dass es kein Tumorgewebe ist. Es sind vielmehr eingewanderte Immunzellen. Das heißt: Wir sehen eine Immunreaktion im Hirn."
Dieses Ergebnis ist das erklärte Ziel einer solchen modulationsspezifischen Impfung. Und mehr noch: "Wir konnten nachweisen, dass die aktivierten, mutationsspezifischen Immunzellen in das Tumorgewebe im Gehirn eingewandert sind", so Bunse.
Die bisherigen Ergebnisse gäben durchaus Hoffnung, schätzt Bunse. "Ich denke, dass unsere erste Studie sehr erfolgversprechend ist. Wir werden uns jetzt in einer Phase 2 Studie genau anschauen, ob die Tumorimpfung tatsächlich einen klinischen Vorteil für betroffene Patienten bringt und ob die Tumor-freie Zeit und das Leben der Patienten dadurch verlängert werden können."