Vietnam - „Der Taifun hat von mir Besitz ergriffen“
9. Februar 2007Graue Wolken hängen am Himmel und tauchen die Szenerie aus zerstörten und beschädigten Häusern in ein mildes Licht. Baulärm erfüllt die Luft. Es riecht wie im Treibhaus. Im Vorort Ngu Han sieht es immer noch aus wie nach einem Bombenangriff - auch drei Monate, nachdem der Taifun Xangsane über die zentral-vietnamesische Küstenstadt Da Nang hinweg gefegt ist. Die erschütternde Bilanz: 69 Tote, 20.000 zerstörte Häuser, mehrere zehntausend Obdachlose.
Eine Spur der Verwüstung
Tropenstürme wie Xangsane gehören hier fast schon zum Alltag. Im vergangenen Jahr waren es fünf, die Vietnam heimsuchten, ein Land, das mitten im Umbruch steckt. Mehr als 30 Jahre hat es gebraucht, um sich von den Verwerfungen der Kriege zu erholen, den Verlust der mageren Geldströme aus dem früheren Sowjet-Block zu kompensieren und sich von den Starrheiten einer zentral geplanten Wirtschaft zu lösen.
Endlich trägt Doi Moi, die 1986 eingeleitete wirtschaftliche Öffnung, reiche Früchte. Ausländische Investoren stehen Schlange. Kaum ein Markenschuh, kaum ein elektronisches Bauteil, das nicht aus einer vietnamesischen Produktionsstätte stammte. Freilich: Noch hat die kommunistische Partei das Sagen. Und so klaffen Welten zwischen Marktliberalisierung und ausbleibenden politischen Reformen. Selbst der jüngst erfolgte Beitritt zur Welt-Handelsorganisation WTO vermag diese Kluft nicht zu verdecken.
Entwicklung nur durch Nachhaltigkeit
Beifall findet Vietnams Wirtschaftsentwicklung bei der Weltbank in Washington, ebenso die Erfolge bei der Armutsbekämpfung. Und doch mahnt Weltbank-Länderdirektor Klaus Rohland, müsse „Vietnam seinen Wachstumswillen der Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung anpassen.“
Umweltschutz und der Erhalt natürlicher Ressourcen dürften nicht zu kurz kommen. Das Turbo-Wachstum der vietnamesischen Wirtschaft von durchschnittlich sechs bis acht Prozent im Jahr teilt das Land in Gewinner und Verlierer. Die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft sich. Das Stadt-Landgefälle wächst. “Wie andere Länder leidet auch Vietnam unter dem zunehmenden Treibhauseffekt und der globalen Erderwärmung“, sagt Nong Quoc Linh, Wetterbeobachter beim Nationalen Meteorologischen Institut in Ha Noi, „das beeinflusst selbstverständlich unser Wetter.“ Immer mehr und schlimmere Stürme sind die Folge.
Weggehen kommt nicht in Frage
Wie so oft hat auch Sturm Xangsane die Armen am schlimmsten getroffen. Viele verloren ihren Job, weil Betriebe dicht machen mussten. Einigen blieb nur, was sie am Leibe trugen. So auch Le Thi Hoa. An diesem Novembertag sitzt die junge Frau auf einem Stuhl vor ihrem zerstörten Haus in Da Nang. Beim Versuch, ihre kleine Tochter zu retten, haben herabstürzende Mauerteile ihr Bein zertrümmert. Die Ärzte konnten es nur noch amputieren. Hoa hat vier Kinder. Alle sind noch klein und gehen zur Schule. Hoa’s Ehemann ist landloser Bauer. Er muss die Familie jetzt allein über Wasser halten.
„Ich habe jede Hoffnung verloren. Aber für meine vier Kinder muss ich doch weiterleben! Ich weiß nicht, wie ich sie groß ziehen soll…“, sagt die junge Frau. Doch trotz Hoffnungslosigkeit muss das Leben weitergehen, auch mit dem Sturm.
Autoren: Vunat Quin und Stefan Dege
Redaktion: Peter Koppen