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GesellschaftVietnam

Vietnam: Kein Studium für kleine Menschen?

2. Juli 2024

Wer in Vietnam studieren will, darf nicht zu klein sein. Eine deutsche Expertin sieht darin eine Diskriminierung.

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Vietnams Präsident Nguyen Phu Trong legt 2018 den Amtseid ab (Archiv)
2018 legte Generalsekretär Nguyen Phu Trong in der Nationalversammlung den Eid als Präsident des Landes ab. Hinter ihm stehen besonders hoch gewachsene vietnamesische Soldaten Bild: AFP

Die "School of Management and Business" (HSB) der Nationaluniversität Hanoi, ist der Ansicht, dass der Zusammenhang zwischen Körpergröße und Erfolg so bedeutsam ist, dass vermeintlich zu kleine Personen nicht mehr zum Studium zugelassen werden sollten. Die Zulassungen für 2024 sahen vor, dass Frauen unter 1,58 Metern und Männer unter 1,65 Metern an der HSB nicht studieren können. In Einzelfällen waren Ausnahmen möglich. Davon berichtete die  vietnamesische Onlinezeitung Tuoi Tre. Es kam in Vietnam zu lebhaften Debatten in den Sozialen Medien.

Am 6. Juni 2024 wies das Bildungsministerium die Hochschule an, diese Anforderungen zu überprüfen. Daraufhin reduzierte die Hochschule die Anforderungen von vier auf einen Studienzweig, nämlich Management und Sicherheit. Eine Stellungnahme der HSB konnte die DW bis Redaktionsschluss nicht erhalten. Alle Anfragen per Mail und Telefon blieben unbeantwortet.

Körpergröße und Selbstbewusstsein

Die HSB begründet das Auswahlkriterium damit, dass die Universität zukünftige Führungskräfte und exzellente Manager für den öffentlichen und privaten Sektor ausbilde. Dabei komme es nicht nur auf fachliche, sondern auch auf die körperliche Eignung an.  Körpergröße sei ein entscheidender Faktor, insbesondere wenn es um Führung und das Selbstbewusstsein gehe.

Aber besteht der Zusammenhang von Körpergröße und Selbstbewusstsein überhaupt? Napoleon war 1,66 Meter groß, Chinas Reformpolitiker Deng Xiaoping 1,57 Meter und Vladimir Lenin 1,60 Meter. 

Die Sozialpsychologin Andrea Abele-Brehm von der deutschen Universität Erlangen-Nürnberg hat Zweifel und sagt im Gespräch mit der DW: "Es gibt einen Zusammenhang, aber der ist relativ gering und uneindeutig." Das belegten zahlreiche Studien aus den USA, Europa und Ostasien.

Extreme Abweichungen vom Durchschnitt, also außerordentliche Kleinheit oder Größe, könnten einen Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben, so die Studien. Bei durchschnittlicher Größe sei der Faktor aber zu vernachlässigen.

Durchschnitt und Extrem

Was aber ist Durchschnitt in Vietnam? Die Durchschnittsgröße in Vietnam beträgt bei Frauen 1,56 Meter, bei Männern 1,68 Meter. Die Angaben stammen von Vietnams Nationalen Institut für Ernährung aus den Jahren 2019-2020.

Studentinnen und Studenten bei einer Abschlussfeier der Universität Hanoi in rot-schwarzen Talaren und mit Doktorhut 2014 (Archiv)
Vietnam hat große Fortschritte in der Ausbildung der Bevölkerung erzielt. Insbesondere im Primärunterricht erzielt das Land im Vergleich mit Ländern ähnlicher Wirtschaftsleistung überdurchschnittliche Ergebnisse. Aber im Sekundärbereich gibt es QualitätsproblemeBild: Hoang Dinh Nam/AFP/Getty Images

Jede Person, die den Durchschnitt um ein paar Zentimeter über- oder unterschreitet, weicht innerhalb des Standards ab und ist nach den statistischen Regeln "normal" groß Im Fachjargon wird dies als "Standardabweichung" bezeichnet.

Die Nationale Statistikbehörde (GSO) von Vietnam hat auf Anfrage der DW schriftlich mitgeteilt, dass Daten zur Verteilung der Körpergröße nicht systematisch erhoben werden. Deswegen ist die Standardabweichung in Vietnam nicht direkt ermittelbar.

Vergleich Ostasien

Im Folgenden behilft sich die DW deswegen mit Daten aus Ostasien. Dort liegt die Standardabweichung bei Frauen bei 5,74 cm und bei Männern bei 6,73 cm. Das bedeutet, jede Frau, die 5,74 cm über oder unter dem Durchschnitt und jeder Mann, der 6,73 cm über oder unter dem Durchschnitt liegt, ist durchschnittlich groß.
 

Das würde auf Vietnam übertragen heißen, dass "normal" große Frauen in Vietnam zwischen 1,50 Metern und 1,65 Metern liegen und "normal" große Männer zwischen 1,61 Metern und 1,75 Metern. Die Nationaluniversität schließt folglich einen erheblichen Teil der durchschnittlich großen Bevölkerung Vietnams vom Studium aus. 

Nach Sicht von Abele-Brehm lässt das nur einen Schluss zu: "Wenn bei HBS so eine Restriktion eingeführt wird, dann ist das natürlich eine Diskriminierung und von daher aus meiner Sicht abzulehnen."

Körpergröße und Geld

Viele internationale Studien zeigen allerdings noch einen anderen Zusammenhang, nämlich den, dass größere Menschen statistisch gesehen mehr Geld verdienen. Zugleich ist belegt, dass Körpergröße und Kompetenz nicht im Zusammenhang stehen. 

Trotzdem glauben viele Menschen, dass große Menschen mehr Erfolg im Leben haben. Das nennt die Sozialpsychologie ein Stereotyp. Im vorliegenden Fall behauptet das Stereotyp einen Zusammenhang (groß=besser sowie groß=kompetenter und deswegen erfolgreicher), der tatsächlich gar nicht besteht.

US-Präsident Joe Biden besucht Vietnam im Oktober 2023
(Archiv) Vietnams mächtigster Mann Nguyen Phu Trong (r.) ist deutlich kleiner als US-Präsident Joe Biden (Körpergröße 182 cm)Bild: Luong Thai Linh/AP/picture alliance

Damit ist nicht gesagt, dass Stereotype keine Wirkung haben. Sie haben eine Wirkung, aber eine, die sich allein aus dem Glauben an das Stereotyp speist und nicht aus einer Tatsache. Anders gesagt: Große Personen verdienen im Schnitt mehr, weil viele Menschen fälschlicherweise glauben, dass große Personen kompetenter oder durchsetzungsfähiger wären.

Es sei die Aufgabe einer Universität, gegen Stereotype vorzugehen und Aufklärung zu leisten. Davon ist die Sozialpsychologin Abele-Brehm überzeugt. "Man muss gegen solche Stereotype natürlich auch angehen, da die Institution diese Stereotype ansonsten auch weiter verstärkt." Die Einführung eines Größenkriteriums an der HBS stehe offensichtlich den eigentlichen Zielen der Hochschule entgegen, Studentinnen und Studenten auszubilden, die sich von Vernunft und Wissenschaft leiten lassen.
 

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Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia