Viola von Cramon: Kosovo braucht politische Stabilität
1. Januar 2021DW: Kosovo steht wieder vor neuen Wahlen, nachdem das Verfassungsgericht die Wahl der Regierung als verfassungswidrig erklärte. Es ist eine Zeit der multiplen Krisen, die Liste der ungelösten Probleme ist lang. Steuert Kosovo in Richtung "failed state"?
Viola von Cramon: Nein, das würde ich nicht sagen. Die Faktenlage bleibt aber eine Herausforderung. Ich glaube, es war ein großer Fehler, dass die Regierung am 25. März gestürzt wurde. Das haben ja auch viele im Westen genauso kommentiert. Und wir haben alle kritisiert, dass das keine gute Idee ist, in der Pandemie eine Regierung zu stürzen, die bis dahin eigentlich vielleicht gute Arbeit gemacht hat und mit der viele Menschen zufrieden waren. Das war die Ausgangssituation und da war auch schon klar, dass es schwierig werden wird, eine Mehrheit für den Regierungswechsel zu finden und für einen neuen Premierminister. Das Verfassungsgericht hat im Grunde das bestätigt, was viele natürlich von Anfang an gesagt hatten, dass diese Wahl unter den Bedingungen, auch Personen zur Wahl zuzulassen, die eigentlich verurteilt waren, natürlich nicht verfassungsgemäß ist. Ich habe mich mit dieser Aussage tatsächlich zurückgehalten, weil ich glaube, es ist gut, dass die Gerichte erst mal ihre Arbeit machen können. Ich glaube, es ist nicht gut, wenn wir als Politik uns darin einmischen. Bedenklich ist nur, und das finde ich auch schade, dass das Verfassungsgericht so lange gebraucht hat.
Neben der politischen Krise hat auch die Pandemie das Kosovo stark im Griff. Was könnte die EU konkret und dringend tun, damit sich die Lage nicht mehr verschlechtert?
Es hört sich alles nach einer Riesenherausforderung an. Also das Kosovo erhält ja schon, was die Pandemie Auswirkungen betrifft, jede Menge Unterstützung. Aber natürlich ist die Frage ob die Regierung auch alles getan hat, um die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, damit die Zahlen nicht weiter steigen? Das muss ja auch Hand in Hand gehen. Wir haben gehört, dass zwar die Beatmungsgeräte angekommen sind, aber dass es teilweise schwierig ist auch das entsprechend ausgebildete Ärztinnen und Ärzten oder Pflegepersonal zu finden. Also das heißt, die Technik allein reicht nicht aus. Und klar, die wirtschaftliche Situation, da wird die EU sicherlich helfen, das ist keine Frage. Und auch bei der Organisation der Wahl. Die Unterstützung der EU wird es geben, aber wie und in welcher Form, in welchem Umfang? Das wird vermutlich alles erst in der nächsten Zeit festgelegt.
Was erwarten Sie von der vorgezogenen Wahl?
Ich hoffe, dass sie soweit Stabilität bringt, dass wir nicht in jedem Jahr neue Wahlen haben. Und dann sind die ganzen Reformen, die seit langer Zeit anstehen, in Bezug auf die Wahlgesetzgebung, in Bezug auf die Justizreform, in Bezug auf den Kampf gegen Korruption und vieles mehr. Das heißt, die ganze Liste an Reformen, die ja wirklich abgearbeitet werden muss, das ist eigentlich das, was drängt. Und daher brauchen wir irgendwann mehr oder weniger stabile Verhältnisse. Also wir brauchen nicht autoritäre Verhältnisse wie in Serbien, das sicherlich nicht. Aber wir brauchen Verhältnisse, so dass die Menschen auch den Eindruck haben, sie werden überhaupt regiert. Sie werden außenpolitisch vertreten. Und dass die Reformen vor Ort angegangen werden. Das wäre wichtig.
Der Dialog mit Serbien wurde im Herbst wieder aufgenommen, aber ein Durchbruch ist immer noch in weiter Ferne. Zuletzt wiederholte Präsident Vučić, dass Serbien die Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkennen wird, solange er Präsident ist. Da stellt sich die Frage: Was sollte dann am Ende eines sogenannten umfassende Abkommen zwischen Serbien und Kosovo stehen, wenn nicht die Anerkennung?
Doch dazu wird es sicher kommen. Aber natürlich ist das die Frage, wie sieht eine gegenseitige Anerkennung aus, was ist in dem Gesamtpaket drin. Wie muss das ausgestaltet werden, damit auch Serbien zustimmt? Und das muss natürlich dann, wenn wir wieder in Kosovo eine Regierung haben, entsprechend ausverhandelt werden. Ich glaube nicht, dass das das letzte Wort sein kann und wird von serbischen Regierungsvertretern. Also da wäre ich an der Stelle erstmal sehr optimistisch, weil auch der serbische Präsident weiß, dass es nur mit einer gegenseitigen Anerkennung von Kosovo Einstieg in die EU gibt. Und auch er hat ein großes Interesse daran, dass es eine EU-Integration für Serbien gibt.
Kosovo fühlt sich isoliert, die Visa-Liberalisierung ist ein Thema, dass die Leute inzwischen sehr ermüdet. Könnte etwas Neues im nächsten Jahr kommen oder heißt es wieder warten?
Es ist bedauerlich, dass das während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht funktioniert hat. Ich habe ja auch immer wieder angemahnt, dass das überfällig ist. Es gibt Bedenken, die liegen nicht in Berlin, sondern vorwiegend in Paris, teilweise auch in Den Haag, in den Niederlanden. Und da ist die Frage: Was kann die kosovarische Regierung tun, um diese Bedenken auszuräumen? Da war es, glaube ich, sehr klug, dass es jetzt auch bilaterale Verhandlungen mit der französischen Regierung gibt, um zu zeigen, dass das, was den Franzosen wichtig ist, von der kosovarischen Regierung aufgenommen wird und einzeln nochmal unterstützt. Die Reformen werden nachgewiesen. An dieser Stelle hoffen wir, dass die Franzosen bald soweit sind und grünes Licht geben, so dass wir dann, wenn alles gut läuft, im nächsten Jahr endlich diese Visa-Liberalisierung auch verabschieden können.
In Bezug auf Kosovo oder Westbalkan gab es unter Präsident Trump keine richtige Zusammenarbeit zwischen EU und USA. Erwarten Sie Verbesserungen unter Präsident Joe Biden?
Nicht nur, dass es keine Zusammenarbeit gab, sondern es gab leider eher ein Gegeneinander zwischen EU und den USA. Wenn wir eines wissen aus der näheren Vergangenheit oder der Geschichte, dann ist es, dass wir nur erfolgreich sein können im Westbalkan, im Kosovo, wenn wir gemeinsam arbeiten. Und da habe ich beim neuen Präsidenten große Hoffnung. Ich glaube nicht, dass er Wunder bewirken kann und wird, weil er natürlich auch innenpolitisch große Aufgaben zu bewältigen hat. Aber er hat erstens Fachleute in seinen engeren Beraterkreis holt, die sich gut auskennen und die, glaube ich, auch für die EU das richtige Signal geben. Daher sind wir, die wir jetzt uns näher mit dem Kosovo und mit dem Dialog beschäftigen, guter Hoffnung, dass man die ersten Monate bereits nutzen kann, um dem Ganzen wieder einen neuen gemeinsamen Schub zu geben. Dass die USA und die EU wirklich an einem Strang ziehen, dass wir gemeinsame Botschaften senden, auch in die Region. Das hat in der letzten Zeit gefehlt.
Das Gespräch führte Lindita Arapi
Viola von Cramon ist Europarlamentarierin der Grünen im EU Parlament und Berichterstatterin für Kosovo der Grünen/EFA.