Virtuelle Großmacht
30. April 2008Das Computerspiel "Just Cause" ist die Heimat des Geheimagenten Rico Rodriguez. Im Alleingang muss er die Bananen-Republik San Esperito von ihrem Diktator befreien: Fäuste fliegen, Gewehre knattern, reichlich Sprengstoff fliegt in die Luft.
Ausgedacht hat sich das ein baumlanger Schwede mit rotem Kurzhaarschnitt, Sommersprossen und Stoppelbart: Linus Blomberg. "Das Spiel ist eine Satire auf die US-Politik. Der Diktator hat zwei eklige Söhne und es gibt jede Menge Parallelen zu den Vorgängen im Irak", sagt Blomberg. "Aber hier ist alles so maßlos übertrieben, das kann man gar nicht ernst nehmen."
Unternehmerische Herausforderungen
Blomberg ist Mitte 30 - vor fünf Jahren hat er die Firma Avalanche gegründet. Sie ist mittlerweile eines der größten Produktionsstudios für Computerspiele in Europa. In einem verglasten Bürogebäude im Herzen des Stockholmer Szeneviertels Södermalm werden die Ballerspiele produziert. 150 Leute sitzen hier, Programmierer, Grafiker, Klangdesigner und Drehbuchschreiber. "Die Herausforderung besteht darin, die kreativen Ideen und die technischen Möglichkeiten zu vereinen", erklärt Blomberg. "Im Schnitt sind 60 bis 70 Leute zwei Jahre lang mit der Entwicklung eines Spiels beschäftigt. Eine Produktion kann schnell 15 bis 20 Millionen Euro kosten - und nicht alle Spiele fahren Gewinne ein."
Blomberg schlendert hinüber in das Herzstück der Firma: in die Testabteilung. Hier werden Spielsquenzen auf Herz und Nieren geprüft - keine Seltenheit, dass irgendwo die Grafik zerrt oder Rechner abstürzen. Blomberg testet auch selbst Spiele, und das schon ziemlich lange: "Mein Bruder und ich haben unsere ganze Jugend in einem dunklen Kabuff vor dem Computer verbracht. Von Alkohol und Mädchen blieben wir so verschont", sagt Blomberg lachend. "Allerdings waren unsere Eltern nicht immer nur begeistert. Sie haben aber bald eingesehen, dass unser Hobby auch lehrreich und nützlich für die Zukunft war."
Konkurrenz für die Musikindustrie
Spielbegeisterte junge Leute wie Blomberg gibt es viele in Schweden. Und viele machen sich ihr Hobby zum Beruf. Die Computerspiele-Branche wächst rasant und könnte der erfolgreichen Musikindustrie des Landes schon bald den Rang ablaufen. Begabte Informatiker, Medientechniker und Game Designer werden oft schon von der Universität abgeworben.
Fünf Autostunden von Blombergs Avalanche Studios entfernt, im südschwedischen Jönköping, finden sogar regelmäßig Computer-Festivals wie "Dreamhack" statt. Hier lässt die umworbene Zielgruppe ihrer Leidenschaft für Ballerspiele freien Lauf. Im spärlichen Licht tausender Monitore sitzen die Spieler an langen Tischreihen mit wild verkabelten Computern. In lässiger Körperhaltung und mit Kopfhörern auf den Ohren.
Studie sieht keine Gewaltgefahr
Auch in Schweden wird über die Auswirkungen von Killerspielen auf die jugendliche Psyche diskutiert. Doch anders als in Deutschland sind Computerspiele in Schweden gesellschaftsfähig. Gut ein Viertel aller Jugendlichen zwischen 13 und 20 Jahren spielt täglich am Computer, stellte der unabhängige Medienrat in einer Studie fest. Für einen Zusammenhang zwischen echter und virtueller Gewalt sehen die Experten bislang keinen wissenschaftlichen Beleg. Avalanche-Gründer Linus Blomberg verfolgt die deutsche Debatte denn auch mit Unverständnis: "In meiner Jugend waren es die Videos – da gab es auch die Sorge, dass die Leute verrohen, wenn sie zu viel 'Rambo' gucken. Die Aufregung hat sich längst gelegt."
Mit Märchen und komplexen Phantasiewelten will man auch bei Avalanche neue Zielgruppen gewinnen – Frauen und Senioren zum Beispiel. Doch bis es soweit ist, wütet der Geheimagent Rico Rodriguez munter weiter. Und lässt kräftig die Kasse klingeln.