Virus? Welcher Virus?
5. April 2003"Ich weiß nicht so richtig, was ich das einschätzen soll", meint die chinesische Mitarbeiterin der Deutschen Telekom in Peking. Aus der Bonner Firmenzentrale sind dramatisch klingende Anweisungen in der chinesischen Hauptstadt eingetroffen. Dienstreisen nach China seien bis auf weiteres untersagt. So geht es derzeit vielen Mitarbeitern ausländischer Firmen in Peking. Zum Beispiel Alberto Sciuto von der italienischen Beratungsfirma Innova. Er hat erfahren, dass er nach seiner Rückkehr nach Rom einen zehntägigen Sonderurlaub antreten soll. "Kein Problem", meint er sarkastisch, "ich habe ein Haus am Meer".
Drei SARS-Tote in Peking
Doch trotz der weltweiten Aufregung um SARS gibt sich Peking, als wäre es immun gegen die Krankheit. Anders als etwa in Hongkong sind in der chinesischen Hauptstadt derzeit nur ganz selten Menschen mit Mundschutz auf den Straßen zu sehen. Dabei hat die geheimnisvolle Lungenkrankheit SARS längst auch die Metropole in der Mitte des Landes erreicht. Nach offiziellen Angaben starben in Peking bisher drei Menschen an SARS. Dennoch: "Die Krankheit ist im Augenblick nur im Süden ein Problem, ich mache mir hier keine Sorgen", meint die Projektmanagerin Shuwei Fu und gibt damit die allgemeine Stimmung wieder – und die Meinung der Regierung.
"Epidemie unter Kontrolle" lautete am Donnerstag (3.4.2003) die Schlagzeile der "China Daily", der offiziösen englischsprachigen Tageszeitung. Zum ersten Mal ist das Thema SARS dem Blatt einen Aufmacher wert. Gesundheitsminister Zhang Wengkang wird darin mit beruhigenden Aussagen zitiert. Man habe die Epidemie im Griff: "Die Zahl der neuen Fälle in China ist im März im Vergleich zum Februar gefallen". Zudem seien im März nur noch 18 Menschen an der mysteriösen Lungenerkrankung gestorben – im Februar dagegen seien es noch 27 gewesen, lässt der Minister vermelden. 1153 der insgesamt 1190 SARS-Fälle in China seien in der südlichen Provinz Guangdong aufgetreten.
Restriktive Informationspolitik
Zwar hat die chinesische Regierung inzwischen Kommunikationsfehler eingeräumt und internationale Experten einreisen lassen. Doch diese Wende in der Informationspolitik kommt spät. In den letzten Monaten hatte die Regierung versucht, das Thema SARS möglichst herunterzuspielen. In den Medien kam die Krankheit – wenn überhaupt - nur am Rande vor.
Der Krieg im Irak bot den Redaktionen der staatlich gelenkten Zeitungen und Sender die Möglichkeit, SARS weitgehend aus den Schlagzeilen herauszuhalten. Und obwohl die ersten Fälle schon im November auftraten, räumte das Gesundheitsministerium erst auf Druck der Weltgesundheitsorganisation WHO Ende März offiziell ein, dass es überhaupt SARS-Fälle in China gibt.
Scharfe Kritik aus Taiwan
Dieses Verhalten irritiert insbesondere die Nachbarländer. Hätte China zwei Monate früher informiert, dann hätten möglicherweise Menschenleben gerettet werden können, heißt es in Hongkong. Geradezu wütend gibt sich die Regierung der Inselrepublik Taiwan. Dort griff Präsident Chen Shui-bian das Thema auf. Chinas Behörden hätten die Epidemie seit Monaten versteckt. "Dabei ist der SARS-Virus eine größere Gefahr als der Golfkrieg und der Terrorismus."