Visafreies Reisen mit serbischem Pass
9. Juli 2009Sada Domanagic ist nervös. Die 61-jährige Bosnierin steht in der Küche ihrer kleinen Wohnung in der alten Innenstadt von Sarajewo und kocht Kaffee. Sie hat ein Visum für Slowenien beantragt. "Ich habe die Botschaft telefonisch um einen Termin gebete", sagt sie. "Schon vor zwei Wochen. Für heute habe ich ihn endlich bekommen!" Für die Rentnerin ist das eine entwürdigende Angelegenheit. "Wäre es nicht wegen meiner Schwester, die ich dort besuchen will – ich würde das nicht mehr mit machen!"
Dabei hat Slowenien vor den Balkan-Kriegen wie Bosnien selbst noch zu Jugoslawien gehört. Heute aber ist es Teil der EU und die verlangt ein Einreise-Visum. "Dafür brauche ich eine Garantie, dass meine Schwester für mich finanziell geradesteht", erklärt Sada Domanagic. "Außerdem einen Nachweis, dass sie eine Wohnung besitzt. Gehaltsnachweise für die vergangenen drei Monate. Insgesamt acht Dokumente. Das verlangen sie für mich als Rentnerin. Was müssen erst die Leute vorbringen, die arbeiten oder – vor allem: Die jungen Leute? Das macht mich besonders traurig."
Von Brüssel alleine gelassen
Auf dem Weg zur slowenischen Botschaft kommt die rüstige Dame an sanierten Häusern vorbei. Viele davon stammen aus der Zeit als Bosnien noch zu Österreich-Ungarn gehörte. 14 Jahre nach dem Bosnien-Krieg sind zwar immer noch vereinzelt Einschusslöcher in manchen Gebäuden zu sehen, doch die meisten Wände sind frisch verputzt, angemalt mit freundlichen Farben.
Vor der Botschaft hat sich eine Schlange gebildet. Doch Sada Domanagic hat einen Termin. Sie geht alleine hinein. Vor anderen Botschaften sind die Schlangen sogar noch länger: Gut 150 Menschen drängen sich allein vor der Deutschen Botschaft. Die Nerven liegen blank. Dabei soll Bosnien wie alle anderen Balkan-Staaten einmal Mitglied der EU werden – das verspricht Brüssel vor allem den jungen Leuten.
Amar Basic ist einer von ihnen. 24 Jahre alt, Student der Englischen Literatur. Amar ist enttäuscht von Europa. Er gehört zu jener Minderheit von Bosniern, die den Nationalismus der Vergangenheit radikal ablehnt. So wie sich viele EU-Politiker das eigentlich wünschen. Doch er fühlt sich von Brüssel alleine gelassen. Amar ist bosnischer Muslim, oder Bosniake wie er sich selber gerne bezeichnet. Er befürchtet, dass die EU den Nachbarstaaten, vor allem Serbien, schneller die Visa-Freiheit gewährt als Bosnien.
Gefühle der Ablehnung
Für Bosnien könnte das die schon jetzt bestehende Teilung des Landes zwischen bosnischen Muslimen, Kroaten und Serben noch vertiefen. Damit könnten nämlich auch die Serben, die in Bosnien leben visafrei reisen. Viele besitzen neben dem bosnischen einen zweiten Pass aus Serbien. Nicht aber die bosnischen Muslime, die kein Mutterland haben.
Amar hat gemeinsam mit Freunden einen offenen Brief an die EU geschrieben. "Die muslimischen Opfer sollen akzeptieren, dass der gesuchte serbische General Ratko Mladic, der Schlächter von Srebrenica, am Ende einen besseren Reisepass hat, als sie selbst", sagter und schüttelt den Kopf. "Das verursacht furchtbare Gefühle der Ablehnung, das Gefühl, dass die EU gegen Bosnien als Vielvölkerstaat ist, gegen Muslime, gegen die Opfer."
Ärger über Bürokratie und Politik
Als die Rentnerin Sada Domanagic aus dem Konsulat kommt hat sie das Visum bekommen – allerdings für einen Termin zwei Tage nach dem geplanten Reisebeginn. "Sie wollten mir meinen Pass nicht gleich zurückgeben", erzählt sie. "Das brauche eben seine Zeit – all die Papiere. Ich bin wirklich sehr verärgert!"
Verärgert über die Bürokratie – aber auch die eigenen Politiker, die zu wenig tun, um die Kriterien für die Visafreiheit zu erfüllen. Und über Europa, von dem sie sich alleine gelassen fühlt.
Autor: Frank Hofmann
Redaktion: Andreas Ziemons